Die „Ladies only“ Kunst- und Architekturführungen durch den Reichstag sind mittlerweile fester Bestandteil des Frauenmärz-Programms in Tempelhof-Schöneberg. Seit 2010 beteilige ich mich mit zwei eigenen Programmpunkten am Frauenmärz. Dieses Jahr steht der Frauenmärz unter dem Motto „Schlaglichter- Frauen in der Kultur“. So gesehen - passte die Kunst- und Architekturführung am 14. März 2015 im Reichstagsgebäude hervorragend ins Frauenmärz-Programm 2015.
„Russische“ Grafitti
Gemeinsam mit den Teilnehmerinnen erlebte ich am 14. März wieder eine spannende Führung durch das Reichstagsgebäude mit besonderem Merkmal auf die Kunst. Ausgangspunkt war der Besuchereingang auf der Westseite des Reichstagsgebäudes. Von dort aus ging es entgegen den Uhrzeigersinn einmal um den Plenarsaal, das Herzstück des Reichstagsgebäudes. Das Augenmerkmal der Besucherinnen richtete sich als erstes auf die „russischen Graffitis“. Als die Rote Armee im Frühjahr 1945 das Reichstagsgebäude eroberte, verewigten sich einige ihrer Soldaten mit Schriftzügen in kyrillischer Schrift an den Wänden im Reichstag. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Gebäude jedoch völlig zerstört. Sichtbar wurden die Schriftzüge erst wieder nach dem zweiten Umbau durch den britischen Architekten Norman Foster im Jahr 1995. In der Zeit zwischen 1960 und 1995 waren diese wie die ehemaligen Innenwände auch durch vorgeschobene Wände, nach den Plänen von Paul Baumgarten, verborgen.
„Der Bevölkerung“
Von der Dachterrasse des Gebäudes sind zwei Innenhöfe erkennbar. Im nördlichen befindet sich eine, durch Holzbretter eingerahmte Fläche, die ein Beet umfasst mit der Inschrift „Der Bevölkerung“. Dieses Kunstwerk des Künstlers Hans Haacke existiert seit 2000 und ist mein Lieblingskunstwerk im Reichstagsgebäude. Der Schriftzug „Der Bevölkerung“ bildet einen Gegensatz zu dem Schriftzug „Dem Deutschen Volke“ über dem Eingang West. Haacke betont vor allem, dass die Bevölkerung Deutschlands nicht nur aus deutschen StaatsbürgerInnen besteht. Die Erde für das Beet stammt aus den Wahlkreisen der Abgeordneten. Alle Abgeordneten sind eingeladen Erde aus ihrem Wahlkreis mit nach Berlin zu bringen.
Andachtsraum
Völlige Ruhe und eine Möglichkeit zur Besinnung bietet der Andachtsraum im Reichstagsgebäude. Konfessionsfrei und abstrakt eingerichtet soll er allen offen stehen. Der Raum ist mit 30 Holzstühlen mit hohen, senkrechten Lehnen und einem Tisch aus Stein ausgestattet. Große Leinwände stehen gegen die Wände gelehnt. Gestaltet wurden sie von Günther Uecker mit Sand, Stein, Nägeln, Holz und Asche. Anders als in christlichen Gebäuden üblich tritt kein Licht durch große, bunte Fenster ein. Eine Stufenkante verläuft von Westen nach Osten und verweist auf den Weg nach Mekka und Jerusalem.
Kunstwerke von Künstlerinnen
Bei der Auswahl der KünstlerInnen für die Gebäude des Deutschen Bundestages und für die „Kunst am Bau“ wurden bekannte deutsche KünstlerInnen als auch KünstlerInnen der Alliierten berücksichtigt. Angesichts des Frauenmärz haben sich die Teilnehmerinnen für die Kunstwerke von Frauen interessiert. So werden die Vereinigten Staaten repräsentiert durch ein Kunstwerk der Künstlerin Jenny Holzer. Sie installierte eine Säule in der Eingangshalle Nord zwischen Erdgeschoss und 1. Obergeschoss. In 22 Tagen und Nächten werden 442 Reden von Bundestagsabgeordneten, die zwischen 1971 und 1992 gehalten wurden, projiziert. Alle Reden wurden von der Künstlerin persönlich nach Themenfeldern ausgewählt. Die Installation greift ein wesentliches Merkmal der parlamentarischen Demokratie auf: die politische Rede.
„Fragestunde“ im SPD-Fraktionssaal
Im Anschluss an die Kunst- und Architekturführung stellte ich mich den Fragen der Besucherinnen im SPD-Fraktionssaal. Ins Gespräch kamen wir vor allem über das Pflegestärkungsgesetz I und die damit verbundenen Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige sowie über das geplante Pflegestärkungsgesetz (PSG) II. Als positiv empfunden wird die Umwandlung der bisherigen Pflegestufen in Pflegegrade. Wenn das PSG II 2017 in Kraft tritt, wird niemand der augenblicklichen „Pflege im Minutentakt“ nachweinen. Beim neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff steht die Selbstständigkeit und Teilhabe der pflegebedürftigen Person im Mittelpunkt.
Sehr interessiert zeigten sich die Besucherinnen an meinem Tages- und Wochenablauf als Abgeordnete. Ich erläuterte meinen Sitzungswochen-Arbeitsalltag, der unter anderem aus festen, wiederkehrenden Gremienterminen und unregelmäßigen Besprechungsterminen und Veranstaltungen besteht. Zu den festen Terminen im Bundestag zählen unter anderem die Sitzungen der Arbeitsgruppen, der Ausschüsse, der Fraktion und schließlich das Plenum.
Auf der Fraktionsebene vor der Fotowand zur Frauenquote, die letzte Woche beschlossen wurde, entstand noch ein Gruppenfoto: Was könnte zu einer Veranstaltung des Tempelhof-Schöneberger Frauenmärzes besser passen?