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Arbeit öffentlich fördern - Perspektive für Langzeiterwerbslose

Obwohl die Erwerbstätigen-Zahlen Höchststände erreichen, gibt es nicht nur Grund zum Jubeln. Als Sozialdemokratin und Mitglied der Parlamentarischen Linken weiß ich: über eine Million Langzeiterwerbslose profitieren von dieser Entwicklung nur wenig. Ein öffentlich geförderter Sozialer Arbeitsmarkt ist ein möglicher Weg, um diesen Menschen langfristig eine Perspektive zu eröffnen. Die Parlamentarische Linke (PL) ist ein Zusammenschluss von sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten. Mit fast 90 Mitgliedern ist die Parlamentarische Linke der größte Zusammenschluss innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion. 

Deswegen begrüße ich es sehr, dass sich die Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion das Thema Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit angenommen hat. Wir haben unsere Vorstellungen im Positionspapier der Parlamentarischen Linken „Arbeit öffentlich fördern - Perspektive für Langzeiterwerbslose“ festgehalten. Ich lade Sie ein: Diskutieren Sie mit!

Die Zahl der Langzeiterwerbslosen ist trotz guter Konjunktur und exzellenter Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt seit 2009 kaum gesunken. Wer langjährig keinen Job hatte, kann offenbar auch von der guten konjunkturellen Situation nicht profitieren und hat wenige Chancen auf einen der neu entstehenden Arbeitsplätze. Gleichzeitig gibt es sehr viel gesellschaftlich notwendige Arbeit, die auf Grund der mangelnden finanziellen Ausstattung in den Städten und Gemeinden unerledigt bleibt. Erfahrungen mit den Instrumenten des Sozialen Arbeitsmarktes haben gezeigt, dass die längerfristige Beschäftigung von Langzeiterwerbslosen im kommunalen Rahmen die Chancen einer Integration in den ersten Arbeitsmarkt erhöhen kann. Dieses Potential zur Verbesserung der Vermittlungschancen bei gleichzeitiger Entlastung der Kommunen wollen wir ausschöpfen und damit den Menschen neue Chancen geben.

Wir wollen Beschäftigung finanzieren statt Arbeitslosigkeit. Um dieses Ziel zu erreichen, muss mehr Geld für die Integration von Langzeiterwerbslosen mobilisiert werden. Der Grundgedanke: Das Geld, das bisher für Sozialleistungen ausgegeben wird, fließt dann in die Förderung von tariflich bezahlten Arbeitsplätzen. Der von der Bundesregierung beschlossene Programmrahmen für kommunale Investitionen zeigt: Städte und Gemeinden mit hoher Arbeitslosigkeit müssen Unterstützung erhalten. Das ist der richtige Zeitpunkt, um über die Finanzierung öffentlich geförderter Beschäftigung nachzudenken. Wir schlagen vor, den Ausbau von öffentlich geförderter Beschäftigung auf die besonders förderungswürdigen Kommunen zu konzentrieren. Ein solches Beschäftigungsprogramm “Arbeit vor Ort” soll an das Programm „Soziale Teilhabe am Arbeitsmarkt“ anknüpfen und es gezielt auf einen Umfang von 100.000 Menschen ausbauen. Dafür braucht es die Bündelung von Mitteln der Arbeitsmarktförderung sowie ihre Wirkungssteigerung. Nachhaltig entwickelt werden kann öffentliche Beschäftigung aber erst, wenn die Bundesmittel - mit einer Zweckbindung für Kommunen - deutlich erhöht werden.

Die Parlamentarische Linke in der SPD-Bundestagsfraktion unterstützt die Ministerin für Arbeit und Soziales in ihrem Engagement für Langzeiterwerbslose und fordert eine finanzielle Untermauerung dieses Engagements im Bundeshaushalt!

Konferenz: „Sozialer Arbeitsmarkt: Hoffnung für Langzeiterwerbslose“

Veranstaltet wurde die Konferenz „Sozialer Arbeitsmarkt: Hoffnung für Langzeiterwerbslose“. Zusammen mit Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles und vielen Gästen diskutierten Mitglieder der Parlamentarischen Linken am 19. März 2015 über Wege aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Auf der gut besuchten Tagung der Parlamentarischen Linken wurden die Ursachen von Langzeitarbeitslosigkeit und anschließend sozialdemokratische Antworten auf diese soziale Frage beleuchtet.

Langzeitarbeitslosigkeit und die Folgen

In ihrem Impulsreferat „Langzeiterwerbslosigkeit: Soziales Problem und gesellschaftlicher Widerspruch“ analysierte Prof. Dr. Sigrid Betzelt die gesellschaftlichen Auswirkungen von Langzeiterwerbslosigkeit. Die Professorin für Sozialwissenschaften, Schwerpunkt Arbeits- und Organisationssoziologie an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, betonte, dass der dauerhafte Ausschluss aus Erwerbsarbeit zu materieller Armut, geringer sozialer Teilhabe, hohen körperlichen und seelischen Belastungen und zu geringer Lebenszufriedenheit führt.

Zurzeit sind von Langzeitarbeitslosigkeit 1,049 Millionen Menschen in Deutschland betroffen. Das sind 35,8 Prozent der arbeitslos gemeldeten Menschen. Als langzeitarbeitslos gilt, wer länger als 12 Monate ununterbrochen ohne Erwerbsarbeit ist. Von verhärteter Erwerbslosigkeit wird gesprochen, wenn Menschen länger als 24 Monate ohne Arbeit sind. Dabei sind starke regionale Arbeitsmarktungleichgewichte zu verzeichnen. Besonders schlechte Chancen haben gering Qualifizierte in Ostdeutschland, im Ruhrgebiet und in vielen Großstädten. In Berlin beträgt der Anteil der Langzeitarbeitslosen 33 Prozent.

Die steigenden Qualifikationsanforderungen durch den technologischen und strukturellen Wandel stellen insbesondere für Langzeitarbeitslose ein großes Problem dar. Fast jede/r 2. Arbeitslose kann mangels höherer Qualifikation nur HelferInnentätigkeit ausüben. Aber nur jeder 7. Arbeitsplatz entspricht diesem Qualifikationsniveau.

Betzelt skizzierte mehrere soziale Risiken für Langzeiterwerbslosigkeit: Ältere über 55 Jahre, Frauen (vor allem Mütter)/Alleinerziehende, gering Qualifizierte (ohne Schul-/Berufsabschluss) und Personen mit veralteter Qualifikation, gesundheitlich Eingeschränkte und Menschen mit geringen Deutschkenntnissen. Wenn mehrere Faktoren zusammentreffen, besteht ein besonders hohes Risiko.

Eine gesellschaftliche Gefahr besteht in der Stigmatisierung und Pathologisierung der betroffenen Menschen. So ist eine geringe soziale Teilhabe zu verzeichnen. Langzeitarbeitslosigkeit bedeutet für viele Menschen den Verlust an sozialen Beziehungen, geringe Integration in gesellschaftliche Organisationen. Diese geringe soziale Einbindung verfestigt den niedrigen sozialen Status.

Für mich als Gesundheitspolitikerin ist auch die objektiv und subjektiv schlechtere Gesundheit von langzeiterwerbslosen Menschen im Vergleich zu Erwerbstätigen alarmierend: nahezu die Hälfte (46 Prozent) hat „schwerwiegende gesundheitliche Einschränkungen“. Mit andauernder Arbeitslosigkeit verschlechtert sich diese Wechselwirkung zwischen Erwerbslosigkeit und dem Gesundheitszustand der Menschen. Darüber hinaus wirken sich psychische Belastungen durch finanzielle Probleme, mangelnde Teilhabe und Stigmatisierung negativ aus.

Betzelt analysierte eine ungenügende Problembearbeitung durch die bisherige Arbeitsmarktpolitik. So führt das „Aktivierungsparadigma“ zu einer Individualisierung des Problems und Stigmatisierung der Betroffenen. Das Versprechen besserer Teilhabe wird viel zu wenig eingelöst.

Vorschläge für die Arbeitsmarktpolitik

Die Arbeitslosenversicherung sollte zur besseren Statussicherung gestärkt werden, meinte Betzelt. Nötig sei eine andere sozialpolitische Ausrichtung: bedarfsgerechte, einzelfallbezogene Angebote auch für Personen mit mehrfachen Risiken. Erforderlich sei ein „sozialer Geleitschutz“, indem individuelle Identitätsprozesse unterstützt werden, statt „Fordern und Fördern“. Auch die Gesundheitsförderung von erwerbslosen Menschen muss stärker entwickelt werden. Substanzielle Qualifizierungsangebote müssten ausgebaut werden, das beinhaltet auch eine Qualifizierung der Fachkräfte in Jobcentern und Arbeitsagenturen. Für den „Sozialen Arbeitsmarkt“ ist Langfristigkeit wichtig. Es bedarf Beschäftigungsbedingungen möglichst nah am „regulären“ Arbeitsmarkt. Dies bewirke auch eine Entstigmatisierung.

Darüber hinaus müssten alternative Wege der gesellschaftlichen Inklusion neben Erwerbsarbeit ermöglicht werden. So sollten zeitweise Ausstiege und Übergänge besser abgesichert werden.

Erwerbsarbeit ist in unserer Gesellschaft wesentliche Grundlage für materielle und soziale Teilhabe. Der dauerhafte Ausschluss aus Erwerbsarbeit führt zu materieller Armut, geringer sozialer Teilhabe, hohen körperlichen und seelischen Belastungen und zu geringer Lebenszufriedenheit. Besonders belastend wirkt die gesellschaftliche Stigmatisierung Erwerbsloser.

„Sozialer Arbeitsmarkt / Passiv-Aktiv-Transfer“ am Beispiel Baden-Württemberg

Das Modellprojekt „Sozialer Arbeitsmarkt / Passiv-Aktiv-Transfer“ in Baden-Württemberg stellte Katja Mast, Sprecherin für Arbeit und Soziales der SPD-Bundestagsfraktion, vor. In dem auf drei Jahre angelegten Projekt werden langzeitarbeitslose Menschen mit mehrfachen Vermittlungshemmnissen in sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse vermittelt. Statt Regelbedarf und Kosten der Unterkunft zu finanzieren, können diese Leistungen als Zuschuss für eine bedarfsdeckende Beschäftigung und zur Finanzierung einer sozialpädagogischen Fachkraft eingesetzt werden. Also aktive Teilhabe statt passiver Empfang der Mittel aus dem SGB II-System. Konkret handelt es sich um drei Komponenten:

  • ein von der individuellen Minderleistung abhängiger Zuschuss des Jobcenters an die ArbeitgeberIn zur Beschäftigung bis zu maximal 75 Prozent des Entgelts aus dem Eingliederungsbudget der Bundesagentur für Arbeit über maximal 2 Jahre;
  • ein pauschaler Zuschuss vom Stadt- oder Landkreis an Stelle der ersparten kommunalen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.
  • eine vom Stadt- oder Landkreis organisierte, aufsuchende Betreuungsfachkraft.

Vorschläge der Landesgruppe Ost: „Sozialer Arbeitsmarkt gegen Langzeitarbeitslosigkeit

Die Landesgruppe Ost, der Zusammenschluss der ostdeutschen SPD-Bundestagsabgeordneten, hatte bereits Ende August letzten Jahres das Papier „Zur Einrichtung eines 'Sozialen Arbeitsmarktes' Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit“ vorgelegt, betonte Daniela Kolbe. Die Sprecherin der Landesgruppe Ost erklärte, dass in dem Papier ein besonderer Fokus zum einen auf ältere Arbeitslose gesetzt werde, die gerade in ländlichen Regionen keine Arbeit finden, und zum anderen auf den harten Kern von Arbeitsuchenden mit multiplen Vermittlungshemmnissen.  Die Finanzierung soll ebenfalls über einen Passiv-Aktiv-Transfer organisiert werden, also einer Aktivierung der sowieso über den Staat zu leistenden passiven Mittel im SGB II. Die Laufzeit eines „Modellprogramms Sozialer Arbeitsmarkt“ sollte mindestens drei Jahre betragen und eine feste Option auf Verlängerung haben. Die Arbeitslosen sollten, wenn sie eine Arbeit angenommen haben, je nach Bedarf betreut und mit zusätzlichen Angeboten (z.B. sozialpädagogische Begleitung, arbeitsplatzbezogene Qualifizierung) unterstützt werden. Grundlage der Finanzierung eines solchen Ansatzes soll der seit Jahren diskutierte „Passiv-Aktiv-Transfer“ sein. Bund und wenn möglich auch die Kommunen beteiligen sich dabei an der Ausfinanzierung in dem Umfang, in dem passive Mittel eingespart werden. Statt Regelbedarf und Kosten der Unterkunft zu finanzieren, werden diese Leistungen als Zuschuss für eine bedarfsdeckende Beschäftigung und zur Finanzierung einer sozialpädagogischen Begleitung eingesetzt - also aktive Teilhabe statt passiven Empfangs der Mittel aus dem SGB-II System. So soll ein schrittweiser Aufbau auf bis zu 100.000 geförderten Arbeitsplätzen ermöglicht werden.