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Tarifeinheitsgesetz: „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“

Der Deutsche Bundestag hat am 22. Mai in namentlicher Abstimmung den Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Tarifeinheit" das Tarifeinheitsgesetz (Drucksache 18/4966) beschlossen. Auch ich habe diesem sowohl innerhalb des Bundestages als auch in der Gesellschaft kontrovers diskutiertem Gesetz zugestimmt.

Streikrecht wird nicht angetastet

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hob in ihrer Rede hervor, dass Streiks und Arbeitskämpfe „manchmal sein müssen“. Gewerkschaften hätten in der Geschichte der Bundesrepublik nicht nur für ihre Mitglieder gestreikt, sondern auch für gesellschaftlichen Fortschritt: „Streiks und Arbeitskämpfen haben wir zu verdanken, dass wir eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitszeitverkürzungen, Gesundheitsschutz, Weiterbildung und moderne Ansätze zur Bewältigung der demografischen Herausforderung haben“. Das Streikrecht werde auch nicht angetastet.

Als Gewerkschafterin und Sozialdemokratin bin ich davon überzeugt, dass durch die Wiederherstellung der 60 Jahre lang bis 2010 geltenden Tarifeinheit die Solidarität der Beschäftigten innerhalb eines Betriebes gestärkt, als auch der Entsolidarisierung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung entgegengewirkt wird. Mit dem Tarifeinheitsgesetz wird die gewerkschaftliche Idee „Gemeinsam sind wir stärker als gegeneinander“ wieder deutlich. Weiterhin bin ich davon überzeugt, dass dieser Solidaritätsgedanke die Bereitschaft zum Eintritt in eine Gewerkschaft eher fördert als schmälert.

Entsolidarisierung hilft den Beschäftigten nicht

„Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und es dann alleine isst, bleiben all diejenigen hungrig, die das nicht können oder um die sich niemand kümmert“ – ein in der Debatte vom zuständigen Berichterstatter SPD-Fraktion Bernd Rützel ausgemaltes Bild. Eingefordert wird die Stärke und Solidarität der Einheit. Mit dem Tarifeinheitsgesetz wird sichergestellt, dass zwei Personen für die gleiche Arbeit in einem Betrieb nicht unterschiedlich entlohnt werden - nur weil sie unterschiedlichen Gewerkschaften angehören. Mit dem Gesetz fordern wir die ggf. in einem Betrieb für eine bestimmte Beschäftigtengruppe existierenden verschiedenen gewerkschaftlichen TarifpartnerInnen zur Kooperation und Einigung auf. Das Gesetz stelle den bewährten Rechtszustand, der bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes im Jahr 2010 galt, wieder her: ein Betrieb - ein Tarifvertrag. Es ist ein „Mittel zur Stärkung der Tarifautonomie“, so unsere Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles.

SPD: Tarifeinheit für eine funktionierende Sozialpartnerschaft

„Ausgerechnet die SPD“ höre ich von GegnerInnen des Tarifeinheitsgesetzes, mit und ohne SPD-Parteibuch. Ja, ausgerechnet wir SozialdemokratInnen wollen angesichts der langen gemeinsamen Geschichte von SPD und Gewerkschaften keine weitere Spaltung der Gewerkschaftsbewegung. Ja, ausgerechnet wir SozialdemokratInnen stehen hinter dem 1949 erfolgtem Zusammenschluss der Gewerkschaften unter dem Dach des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Dieser Zusammenschluss war auch eine Schlussfolgerung aus der historischen Spaltung der Arbeiterbewegung und sollte und soll der Zukunft der Solidarität dienen: „Nicht der Wille zur Macht hat die Gewerkschaften bestimmt, sondern vor allem die Erkenntnis, dass der politischen Demokratie die wirtschaftliche Demokratie zur Seite gestellt werden muss“ (Hans Böckler (SPD), erster DGB-Vorsitzender).

Es ist völlig in Ordnung, wenn sich die einzelnen Koalitions- und Oppositionsfraktionen in Bundestagsberatungen durchaus einen heftigen Schlagabtausch liefern: Das ist die Grundlage unserer parlamentarischen Demokratie. Es gibt nun mal die Unterscheidungen. So weit so gut. Nicht nur falsch sondern auch politisch „frech“ finde ich die Haltung der Grünen: Behauptet wird, dass die kleineren Gewerkschaften das Tarifniveau zuletzt immer wieder angehoben hätten, die „SPD steht an vorderster Front, dass das Tarifniveau nicht nach oben gezogen wird". Nun ist bekannt, dass sich bei Bündnis 90/Die Grünen zumeist einkommensstärkere Menschen organisieren. Daher macht es dieser Partei wohl auch nicht viel aus, wenn zum Beispiel der Marburger Bund sich für die Verbesserung der Situation der ÄrztInnen stark macht - dabei aber die, für die Heilung von PatientInnen ebenfalls unverzichtbaren Pflegekräfte außen vor lässt. Ich bin für eine starke Vertretung auch der ärztlichen Interessen - will aber keinesfalls, dass es bei Tarifverhandlungen für die gleichen Betriebe Berufe gibt, die zum „Fußvolk“ degradiert und nicht ausreichend vertreten werden. Ich will in einem Betrieb nicht nur sozialen Frieden, sondern auch solidarische Vertretung und damit Erfolge bei der Arbeitszeit, beim Lohn, bei gesundheitlichen Maßnahmen, etc.! Genauso wenig will ich, dass ganze Beschäftigungsgruppen von Tarifverhandlungen nicht erfasst werden. Wir SozialdemokratInnen streben noch für dieses Jahr eine gesetzliche Verhinderung rechtswidriger Vertragskonstruktionen bei Werkverträgen bzw. auch Neuregelungen für LeiharbeiterInnen an.

Das Prinzip „Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ als politische Handlungsmaxime des DGB

Der DGB hat in seiner Stellungnahme vom 18. November 2014 für die DGB Gewerkschaften das Prinzip „ Ein Betrieb - ein Tarifvertrag“ noch einmal als „politische Grundlage ihres Handelns im Betrieb, in der Branche und in der Gesellschaft“ bekräftigt. Gemäß der im DGB organisierten Gewerkschaften - der Marburger Bund oder die GDL gehören übrigens nicht dazu - sollen Tarifverträge den unterbietenden Konkurrenzkampf um den Arbeitsplatz auflösen und gute Entgelt- und Arbeitsbedingungen für alle schaffen. Verteilungsfragen der ArbeitnehmerInnen untereinander sind von ihnen selbst zu lösen, bevor sie sich gegenüber dem Arbeitgeber gemeinsam auf Forderungen und eine Durchsetzungsstrategie verständigen. Ohne diese interne Klärung und Geschlossenheit ist das nicht möglich. Bestehen mehrere konkurrierende Gewerkschaften, ist es das Ziel der DGB Gewerkschaften, den höchstmöglichen Grad an Geschlossenheit anzustreben. Sofern allerdings konkurrierende Tarifverträge, die sich im Betrieb überschneiden bestehen, ist durch Anwendung des Mehrheitsprinzips bei der Auswahl des anwendbaren Tarifvertrages der notwendigen Geschlossenheit der Arbeitnehmerschaft Rechnung getragen. Nichts anderes will das Tarifeinheitsgesetz.

Verfassungskonformität des Gesetzes

Ob das Gesetz verfassungswidrig ist, wie nun einige lauthals verkünden, muss ich dem Bundesverfassungsgericht überlassen. Einige der im DGB organisierten ebenso wie einige nicht im DGB organisierten Berufsgewerkschaften - sogenannte Spartengewerkschaften - haben angekündigt, Verfassungsklagen unter anderem wegen einer möglichen Einschränkung des Streikrechts einreichen zu wollen. Wir werden in Zukunft durch die Entscheidung der BundesverfassungsrichterInnen - aber auch nur durch diese - gemeinsam klüger werden. Für mich gilt derzeitig: Die verfassungsrelevanten Ministerien des Inneren als auch der Justiz der Bundesregierung sind der Überzeugung, das Tarifeinheitsgesetz ist verfassungskonform.

Hintergrund: Was regelt das Tarifeinheitsgesetz?

Der Grundsatz der Tarifeinheit greift nur dann, wenn es nicht gelingt, die Kollision von Tarifverträgen für die gleichen Beschäftigtengruppen zu vermeiden. In diesem Fall gilt der Tarifvertrag derjenigen Gewerkschaft, die im Betrieb über die meisten Mitglieder verfügt. Kollisionen lassen sich dadurch vermeiden, dass die Gewerkschaften ihre Zuständigkeiten untereinander abstimmen und dafür sorgen, dass ihre Tarifverträge für verschiedene Beschäftigtengruppen gelten. Oder aber sie kommen überein, dass ein ergänzender Tarifvertrag zusätzliche Regelungen für eine bestimmte Arbeitnehmergruppe vorsieht. Die Gewerkschaften können auch ihre Forderungen abstimmen und gemeinsam in einer Tarifgemeinschaft ihre Tarifverträge verhandeln oder inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen. Innerhalb eines Dachverbandes können bestehende verbandsinterne Konfliktlösungsverfahren genutzt werden.

Zum Schutz der kleineren Gewerkschaften ist vorgesehen, dass sie gegenüber der Arbeitgeberseite ein vorgelagertes Anhörungsrecht erhalten. Zudem wird ihnen ein Recht eingeräumt, den Mehrheitstarifvertrag im Falle der Kollision nachzuzeichnen. Das Tarifeinheitsgesetz greift nicht in die Koalitionsfreiheit und nicht in das Streikrecht ein. Es wird sowohl vom Bundesjustizministerium als auch vom Bundesministerium des Innern als verfassungskonform bewertet. Dies wurde in der öffentlichen Anhörung am 4. Mai 2015 auch vom ehemaligen Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, bestätigt. Mit dem Gesetz stärkt die Koalition eine solidarische Tarifpolitik.