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20 Jahre Denk-mal an jüdische Bürgerinnen und Bürger

Seit 20 Jahren gestalten die SchülerInnen der 6. Klasse der Löcknitz-Grundschule im Bayerischen Viertel in Berlin-Schöneberg für die im Nationalsozialismus ermordeten jüdischen MitbürgerInnen ein ehrendes Gedenken. Während der bewegenden Gedenkfeier am 9. Juli 2015 wurde der 1.100ste Gedenkstein auf dem Schulgelände verlegt. An der Gedenkveranstaltung nahmen SchülerInnen, LehrerInnen, Eltern und NachbarInnen der Löcknitz-Grundschule teil. Besucht wurde die Veranstaltung von den Zeitzeuginnen Rahel Mann und Margot Friedländer, dem Botschafter der Republik Chile, Herr Mariano Fernández Amunátegui, Gert Rosenthal (der Sohn von Hans Rosenthal), die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg Angelika Schöttler sowie Ingrid Kühnemann, stellvertretende Vorsteherin der Bezirksverordnetenversammlung Tempelhof-Schöneberg.

Besondere Gäste waren die 32 Kinder und Erwachsene der Partnerschule aus Qingdao, China, die vom 7. bis zum 14. Juli zum ersten Besuch in Berlin weilten.

Zwanzigjähriges Jubiläum der Denksteinniederlegung

Christa Niclasen, die Schulleiterin, erinnerte in ihrer Ansprache an die im Schuljahr 1994/95 im Rahmen der Unterrichtseinheit „Nationalsozialismus“ entstandene Idee, ein kleines Denk-mal für jüdische BürgerInnen des Bezirks, die in Konzentrationslagern gewaltsam zu Tode gekommen sind, auf dem Schulgelände zu errichten. Sie verwies auf mittlerweile weitere Projekte der Schülerinnen und Schüler:

Auf dem Schulgelände wurde 2012 der Grundriss der jüdischen Synagoge Münchener Straße 37 erneuert. Diese wurde 1910 eingeweiht und bildete das Zentrum jüdischen Lebens im Bayerischen Viertel. Sie wurde am 9. November kaum beschädigt, fiel aber den Bombenangriffen während des 2. Weltkrieges weitgehend zum Opfer und wurde 1950 endgültig abgerissen. Alle Kinder der Schule waren unter dem religionsübergreifenden Thema „Arche Noah“ zusammen mit den KünstlerInnen Jana Wolf, Lucas Fritsch und Christoph Gramberg am Bau beteiligt - vom Ausschachten, Gießen der Fundament, Bau des wellenförmigen Grundrisses mir den Eingangstoren sowie dem Schnitzen von Tieren. Das Thema „Arche Noah“ wurde gewählt, da diese Geschichte sich in allen drei Weltreligionen wiederfindet und weil alle Kinder der Löcknitz-Schule mit ihren verschiedenen Religionen sich mit dem Schulgelände identifizieren sollen

Des Weiteren führten die SchülerInnen ein „Kofferprojekt“ durch. Unter den ausgestellten Koffern im Konzentrationslager Auschwitz ist ein Koffer, auf dem mit weißer Schrift geschrieben steht „Alfred Israel Berger, Stübbenstr. 1“ und die Transportnummer des Koffers geschrieben. Da für Alfred Israel Berger bereits ein Stein im Denk-mal liegt, wurde der Koffer in der Schule genauso beschriftet. In diesen Koffer wurden Dinge gepackt, von denen die Kinder sich vorstellten, dass Alfred Israel Berger sie auch mitgenommen haben würde. Dieser Koffer wurde dann bis zum Bahnhof Grunewald getragen, da Alfred Berger wahrscheinlich von hier nach Auschwitz deportiert wurde.

Das Bayerische Viertel war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Zentrum jüdischen Lebens: Anfang der dreißiger Jahre lebten ca. 16.000 jüdische MitbürgerInnen allein im Umkreis der heutigen Löcknitz-Grundschule.

Ein Kaddish für die Toten

Die SchülerInnen der 6. Klasse brachten jeweils einen Stein nach vorne. Auf diesen Denk-Steinen stehen jeweils Name, Geburts- und Todestag sowie Todesort einer von den Nationalsozialisten ermordeten Person aus dem Bayerischen Viertel. Die SchülerInnen suchen sich aus Listen im Heimatmuseum, in denen alle ehemaligen MitbürgerInnen jüdischen Glaubens des Bezirks nach Straßen und Hausnummern geordnet verzeichnet sind, eine Person aus, zu denen sie eine besondere Beziehung etwa aufgrund von Alter, Geburtstag, Namen oder Adresse aufbauen können. Sie beschriften einen Denk- Stein mit diesem Namen und fügen ihn dem Denk- mal hinzu.

Das Kaddish, das jüdische Totengebet, sprach Rabbiner Walter Rothschild. Dieses spricht nicht vom Tod, sondern von der ganzen Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Singen aus der Kinderoper „Brundibár“

Den Abschluss der Gedenkfeier bildete ein vom SchülerInnenchor gesungenes Lied aus der Kinderoper "Brundibár". Der tschechisch-deutsche Komponist Hans Krása wurde 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und schrieb dort "Brundibár" aus dem Gedächtnis auf. Ursprünglich hatte er die Oper 1938 komponiert, konnte dieser aber aufgrund seiner jüdischen Wurzeln nur heimlich spielen. Die Uraufführung der Oper fand in einem jüdischen Waisenhaus statt. Im Lager gelang es Hans Krása, die Oper über 50 Mal aufzuführen. Die Oper schenkte den gefangenen Kindern in Theresienstadt Freude, Abwechslung und neue Hoffnung. Noch heute ist "Brundibár" für die Überlebenden ein Symbol und mit positiven Erinnerung verbunden.

Die Kinderoper "Brundibár" ist eine Geschichte über Solidarität und erzählt vom erfolgreichen Kampf gegen das Böse. Zwei Geschwister wollen für ihre kranke Mutter Milch besorgen und sich das nötige Geld als Sänger auf dem Marktplatz verdienen. Aber der böse Drehorgelspieler Brundibár hat etwas dagegen. Mit Hilfe anderer Kinder können sich die Geschwister schließlich gegen Brundibár durchsetzen.

"Uns kriegt ihr nicht." - Historische Fakten und sehr persönliche Gedanken von ZeitzeugInnen

Nach Abschluss der Veranstaltung verwies mich Rahel Mann, eine der anwesenden Zeitzeuginnen, eindringlich auf das Buch „Uns kriegt ihr nicht.“: In "Uns kriegt ihr nicht" berichten 15 Kinder und Jugendliche, die während des Nationalsozialismus in Berlin im Untergrund leben, eindrücklich über ihr Leben in Kellerverstecken und Verschlägen.

Rahel Renate Mann war sieben Jahre alt, als sie in den Keller ihrer alten Wohnung in der Starnberger Straße gebracht wurde. Hier hauste das Mädchen in einem dunklen Verschlag mitten in Berlin, von den NachbarInnen notdürftig versorgt. Sie schlieft viel, wartete. Knapp drei Jahre verbrachte Rahel Mann in Verstecken. Was da genau und warum es geschah, wusste sie nicht. Ihre Mutter war zu dieser Zeit bereits im Lager in Sachsenhausen.

Insgesamt 15 Geschichten von Zeitzeugen haben Tina Hüttl und ihr Koautor Alexander Meschnig (Piper Verlag, München 2013, 288 Seiten, 19,99 Euro) aufgespürt. Erinnerungen, die sie in "Uns kriegt ihr nicht." aus der Ich-Perspektive erzählen und die deshalb so aktiv und lebendig erscheinen. In "Uns kriegt ihr nicht. Als Kinder versteckt – jüdische Überlebende erzählen" vermittelt auf ganz persönliche Weise Geschichte, erzählt von bedrückenden Schicksalen, die nie Opfergeschichten sind.