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Gendersensible Aspekte in die Prävention und Gesundheitsförderung integrieren

Plenum des Netzwerks Frauengesundheit Berlin am 9. September 2015

Es ist im Kern ein brisantes Thema. Leider wird die Brisanz und Wichtigkeit derzeit für viele erst rückwirkend erkennbar, wenn die Folgen des Fehlens schon zu spüren sind. Es geht um Prävention. Ein großer Schritt hin zu mehr  Vorsorge und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen wurde am 18. Juni 2015 vom Deutschen Bundestag mit dem Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und der Prävention (Präventionsgesetz) beschlossen. Nach der Befürwortung des Bundesrates ist das Gesetz am 25. Juli in Kraft getreten. Doch wie wird aus einem Gesetz Prävention und Gesundheitsförderung im Alltag?  

Mehr Gender in der Prävention ist notwendig

Untersuchungen zeigen, dass mehr Prävention und Gesundheitsförderung gerade in die Lebenswelten gehört, da wo die einzelnen Menschen sind: für ArbeitnehmerInnen im Unternehmen, für Kinder und Jugendliche in der Kita oder in der Schule, für Ältere zum Beispiel in den Pflegeeinrichtungen. In den Lebenswelten muss der Blick auf die Zusammenhänge von sozialer Lage und Gesundheit gerichtet werden.

Wie bedeutsam gerade die Berücksichtigung von Gender auch in Prävention und Gesundheitsförderung gekoppelt mit der Wahrnehmung des hohen Einflusses von sozialer Ungleichheit ist, belegt ein Blick auf die Lebenserwartung von Männern und Frauen:

  • Bei einem Einkommen von unter 60 Prozent gemessen am Median des Nettoäquivalenzeinkommens der Bevölkerung haben Männer eine Lebenserwartung von knapp über 70 Jahren und ab ihrem 65. Lebensjahr noch eine Lebenserwartung von 12,3 Jahren. Wachsen Männer in reicheren Verhältnissen auf, liegt die Lebenserwartung bei 80,9 Jahren und die Wahrscheinlichkeit nach dem 65. Lebensjahr noch bei 19,7 Jahren.
  • Bei den Frauen liegt die Lebenserwartung bei einem Aufwachsen bei einem Einkommen von unter 60 Prozent bei 76,9 Jahren mit der Chance nach dem 65. Lebensjahr noch weitere 16,2 Lebensjahre zu leben. Wachsen sie in reicheren Verhältnissen auf, liegt die Lebenserwartung bei 85,3 Prozent und die Chance auf noch 22,5 Lebensjahre nach dem 65. Lebensjahr.

Netzwerk Frauengesundheit Berlin

Auf Einladung von Karin Bergdoll, Sprecherin des Netzwerkes und hier Vertreterin für den Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. (AKF) war ich zusammen mit der für Prävention zuständigen Mitarbeiterin der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, Frau Rinne, am 9. September 2015 zum Plenum des Netzwerk Frauengesundheit Berlin zum Thema Prävention und Gesundheitsförderung geladen. Das Netzwerk Frauengesundheit Berlin setzt sich seit 2001 als Verbund von etwa 50 Fachfrauen aus verschiedenen Institutionen (Universitäten, Kliniken, Projekten, Verbänden, Bezirken, Senatsverwaltungen) für eine verbesserte, frauenspezifische Gesundheitsförderung und -versorgung für Frauen beispielsweise im Bereich Reproduktive Gesundheit, Migration, Sucht, Gewalt und Brustkrebs in Berlin ein. Ziel ist

  • „die bestehenden Defizite im Bereich Frauengesundheit öffentlich zu machen,
  • den Geschlechteraspekt in allen Bereichen des Gesundheitswesens und der Forschung zu verankern,
  • besonders benachteiligte Gruppen bedarfsorientiert zu unterstützen und
  • Frauen über aktuelle Gesundheitsthemen zu informieren“.

Das Netzwerk Frauengesundheit Berlin stellt sich der Herausforderung „mehr Gender in die Prävention und Gesundheitsförderung“ zu bringen. In der Plenumssitzung berichtete ich über die Struktur des Präventionsgesetzes, die Partizipationsmöglichkeiten auf Bundes- und Länderebene und diskutierte zusammen mit den Anwesenden darüber, wie Gender in die Prävention und Gesundheitsförderung im Land Berlin ausgestaltet werden kann.

Warum ist ein Präventionsgesetz so wichtig?

Prävention und Gesundheitsförderung ist aufgrund des demografischen Wandels, der längeren Lebensarbeitszeiten, der Zunahme chronischer Erkrankungen und zur Erhöhung der Lebensqualität dringend geboten. Eine wirkungsvolle Prävention und Gesundheitsförderung steigern die Lebenserwartung und die Zahl der gesunden Lebensjahre. Studien der WHO für Europa besagen: „Nichtübertragbare Krankheiten sind die Hauptursache von Tod, Krankheit und Behinderung… Die vier wichtigsten nichtübertragbaren Krankheiten (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, chronische obstruktive Lungenerkrankungen und Diabetes) sind für den Großteil der Krankheitslast und der Frühsterblichkeit ... verantwortlich. In der Europäischen Region entfallen fast 86 % der Todesfälle und 77 % der Krankheitslast auf nichtübertragbare Krankheiten“. Die größte Steigerungsrate ist bei den psychischen Erkrankungen zu beobachten. Aber auch die Infektionskrankheiten bleiben weiterhin ein Gefährdungspotenzial:

  • „alte“ Infektionskrankheiten kehren zurück (z.B. Tuberkulose, Norovirus)
  • bekannte Erreger etablieren sich in bisher nicht betroffenen Regionen (z.B. West-Nil-Virus)
  • „neue“ Infektionskrankheiten treten auf (z.B. neuartige Influenza-Viren, SARS, Ebola)
  • Resistenzentwicklung gegen Antibiotika und antivirale Wirkstoffe.

Neue Chancen zur Prävention

Das Präventionsgesetz setzt auf die zielgerichtete Zusammenarbeit der Akteure in der Prävention und Gesundheitsförderung: Neben der gesetzlichen Krankenversicherung werden auch die gesetzliche Rentenversicherung und die gesetzliche Unfallversicherung, die Soziale Pflegeversicherung und auch die Unternehmen der privaten Krankenversicherung eingebunden. In einer Nationalen Präventionskonferenz legen die Sozialversicherungsträger unter Beteiligung insbesondere von Bund, Ländern, Kommunen, der Bundesagentur für Arbeit und der Sozialpartner gemeinsame Ziele fest und verständigen sich auf ein gemeinsames Vorgehen. Mit dem Präventionsgesetz werden aber auch zentrale Maßnahmen wie Impfprävention gefördert. Bei allen Routineuntersuchungen sollen zukünftig der Impfschutz für Kinder, Jugendliche und Erwachsene überprüft werden. Auch Früherkennungsuntersuchungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene sollen weiterentwickelt werden.

Genderspezifische Forderungen des Netzwerk Frauengesundheit Berlin

In der Diskussion wurden eine paritätische Besetzung der Gremien sowie eine Gender-Beauftragte für die nationale Präventionskonferenz sowie die Landespräventionskonferenzen gefordert. Auch seien gendersensible Untersuchungen von zentraler Bedeutung, um Gleichstellung bei den Gesundheitschancen zu erreichen. Karin Bergdoll verwies auf „alte“ Gender-Forderungen des AKF. Hervorgehoben wurden neue Herausforderungen für die Prävention, die sich aus der hohen Anzahl von Flüchtlingen in Berlin ergeben. Gerade hier sei das Menschenrecht auf Gesundheit umzusetzen.

Eine geschlechtergerechte Prävention und Gesundheitsförderung verdient mehr Aufmerksamkeit als bisher. Das sage ich auch als Mitglied des Parlamentarischen Netzwerk „Frauen frei von Gewalt“ der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. Ich fordere eine konsequente Umsetzung der Istanbul Konvention. Hier setze ich mich ein gegen jegliche Gewalt gegen Frauen von physischer und sexueller Gewalt und häuslicher Gewalt ein. Das Thema Frauengesundheit war auch ein großes während meiner Zeit (2000 bis 2007) als Berliner Landesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen.

Prävention in Berlin

Das Land Berlin hat sich schon vor der Verabschiedung des Bundesgesetzes zur Prävention dieser großen Aufgabe gestellt und auf der Landesgesundheitskonferenz bereits mehrere Gesundheitsziele vereinbart. Frau Rinne, Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales, stellte das Aktionsprogramm Gesundheit im Bereich Prävention vor. Auch hier werden nachhaltige Präventionsketten kreiert und über die gesamte Lebensphase auf- und auszubaut. „Gesund aufwachsen, gesund älter werden und gesund arbeiten“ sind Kernprojekte. Hier müssen die Handlungsfelder und Projekte noch ausgebaut werden. Karin Bergdoll, Vertreterin des Netzwerks Frauengesundheit Berlin, forderte auch hier die Ausarbeitung von mehr gendergerechte Ausgestaltung der Gesundheitsziele. Heute ist es auch unbestritten, dass die Dichotomie von „Frau - Mann“ zu überwinden sei, dass es mehr Geschlechteridentitäten gibt. Es bedarf einer stärkeren Kooperation zwischen den Akteurinnen des Netzwerkes Frauengesundheit Berlin und den AkteurInnen der Landesgesundheitskonferenz.