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Eine Pflegekammer für Berlin - eine politische Herausforderung

Pflegeberufe sind wichtig - und gut qualifizierte, hoch motivierte Pflegefachkräfte werden in einer Gesellschaft des längeren Lebens immer wichtiger. So wie andere Heilberufe auch wollen Pflegefachkräfte ihre Interessen im Gesundheitswesen und in der Politik selbst bündeln und vertreten. Es ist Aufgabe der Politik, eine solche berufs- und gesellschaftspolitisch bedeutsame Interessensvertretung zu ermöglichen. Dafür es gibt auf Länderebene bereits Vorbilder: In den SPD-geführten Ländern Rheinland-Pfalz, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist inzwischen die Realisierung einer Pflegekammer vorangeschritten.

Wir SozialdemokratInnen wissen aus den mittlerweile zahlreichen Befragungs- und Abstimmungsergebnissen zur Errichtung von Pflegekammern in den verschiedenen Bundesländern, wie wichtig eine gute Information über Funktion und Aufgabe der Pflegekammer ist. Wir wissen auch, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen guter Information und dem jeweiligen Grad der Zustimmung zu ihrer Errichtung. Als verantwortungsvolle Politikerin gibt mir diese Erkenntnis eine wichtige Orientierung.

Die Berliner SPD befindet sich noch immer im Suchprozess. Der letzte SPD-Landesparteitag im Juni hat keinen Beschluss für oder gegen eine Pflegekammer gefällt. Uns ist aber sehr bewusst, dass wir uns hinsichtlich der in Berlin Pflegenden - die Zahlen schwanken zwischen 21.000 und 28.000 - in einer Verantwortung befinden. Wir SozialdemokratInnen wissen: Die gewählten VertreterInnen im Parlament entscheiden letztendlich über eine eigenständige Interessensvertretung und deren Struktur. Infolgedessen ist die Ermöglichung einer selbstbestimmten Interessensvertretung auch ein Wahlkampfthema.

Akzeptanz einer Pflegekammer im Land Berlin

Auch in Berlin fordern Pflegefachkräfte immer lauter Selbstbestimmung, eine eigene Berufsordnung sowie die verbindliche Beteiligung in allen Fragen der beruflichen Pflege. Das belegen zwei von der Alice Salomon Hochschule Berlin durchgeführte und von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales geförderte Befragungen

  • die „Studie zur Akzeptanz einer Pflegekammer im Land Berlin“
  • die „Online-Befragung der Schülerinnen und Schüler der Kranken- und Altenpflegeschulen zur Akzeptanz einer Pflegekammer im Land Berlin“.

 Beide Abschlussberichte liegen seit September 2015 vor. Die mir den politischen Weg weisenden Ergebnisse sind nahezu identisch: Bei der Studie zur Akzeptanz einer Pflegekammer sprachen sich 58,8 Prozent der teilnehmenden professionell in der Pflege Tätigen für die Einrichtung einer Pflegekammer aus. Von den teilnehmenden PflegeschülerInnen sind 59,1 Prozent für die Einrichtung einer Pflegekammer in Berlin. Die Pflegekräfte von morgen wollen also die Pflegekammer.

Pflegekammer - ein Streitfall in der Berliner Politik

Während sich die jetzigen und angehenden professionell Pflegenden für eine basisdemokratisch legitimierte berufspolitische Interessensvertretung ausgesprochen haben, wird in der Politik gerungen, innerhalb und außerhalb der Parteien, aber auch innerhalb und zwischen den Fraktionen des Berliner Abgeordnetenhauses.

Der politische Streit wurde auch in der Öffentlichen Sitzung des Ausschuss für Gesundheit und Soziales des Abgeordnetenhauses Berlin am 15. Juni 2015 deutlich. Auf Antrag der Koalitionsfraktionen wurde der Top „Ergebnisse und Bewertungen der auf freiwilliger Basis beruhenden Befragung der Pflegenden zur Pflegekammer in Berlin“ zusammen mit externen ExpertInnen diskutiert.

Die Diskussion war höchst intensiv, die Positionierungen Pro und Contra Pflegekammer erwartungsgemäß kontrovers. Ich bitte das Wortprotokoll nachzulesen - es ist eine spannende Lektüre.

Die Pro-ExpertInnen forderten von der Politik, dass ihnen endlich die Anerkennung im System zugestanden wird, damit diese Berufsgruppe ihre Aufgaben zum Wohl der Versorgung der Bevölkerung endlich selbst in die Hand nehmen kann. Es geht auch darum, dass wir mehr selbstbewusste Pflegekräfte brauchen, die ihre Arbeit auch selbstbewusst gestalten.

Der zuständige Gesundheits- und Sozialsenator, Mario Czaja (CDU) hat in dieser Sitzung gesagt: „Wir werden diese beiden Bundesländer einladen, um über die Fragen des Gründungsprozesses und der Einbindung unter anderem auch der Gewerkschaften zu diskutieren. Wir müssen dann im politischen Raum die Frage erörtern, welche Mittel für den Gründungsprozess im Haushalt eingestellt werden. Alle anderen Fragen liegen zweifelsohne im politischen Raum; darin sehe ich meine Aufgabe als Senator für Gesundheit und Soziales, verantwortlich vor allem auch für starke und gute Pflege. Dieser Verantwortung will ich dahingehend gerecht werden, dass ich all die Prozesse vorbereite, damit man sich im politischen Raum eine Meinung dazu bilden kann. Die Befragung war der erste Schritt. Der nächste Schritt ist, von den Ländern zu lernen, die Pflegekammern einrichten. Danach liegt der Ball bei Ihnen im Parlament, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass im Chor der anderen Kammern – und der wird mit Sicherheit seine Arbeit nicht einstellen – die Pflege genauso mitspielt, wie das die Psychotherapeuten, die Zahnärzte und die Ärzte tun.“. Leider ist Senator Czaja wohl die politische Puste ausgegangen.

Pflegekammer - für die Berliner CDU kein drängendes Thema

Zwar hat am 1. Oktober 2015 die Veranstaltung „Fachdialog Pflegekammer - Wie geht es weiter bei der Pflegekammer?“ stattgefunden. Hier nahmen Alexander Schweitzer, SPD-Fraktionsvorsitzender Rheinland-Pfalz, Hans-Josef Börsch, Gründungsausschuss Rheinland-Pfalz, Matthias Brüggemann, Gründungskonferenz Niedersachsen, neben Berliner PolitikerInnen teil. Doch hinsichtlich einer wirksamen Unterstützung der Pflegekammer noch in dieser Legislaturperiode ist auch er weit entfernt: In den Doppelhaushalt 2016/17 ist seinerseits kein Geld für die Gründung einer Pflegekammer eingestellt worden. Sein Hinweis, dass noch bis Ende November 2015 die Möglichkeit bestehe, ein Gründungsgesetz zur Pflegekammer bzw. zur Einrichtung eines Gründungsausschusses in das Parlament einzubringen, damit Gelder im Haushalt zurückgestellt werden können, ist Augenwischerei. Wer, wenn nicht er, soll denn dieses Gesetz einbringen? Auch in Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein sind die Gesetzesinitiativen von den zuständigen Gesundheits- und Sozialministerien ins Parlament eingebracht worden. Somit wird das Thema Pflegekammer frühestens erst nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus 2016 wieder auf die Agenda kommen.

Seitens der Gäste aus Rheinland-Pfalz wurde darüber informiert, dass die Pflege dort bis dato politisch sehr unorganisiert sei. Berufsverbände und Gewerkschaften könnten nur für einen geringen Teil der Pflegenden sprechen. Die Politik habe somit keine AnsprechpartnerIn gehabt, die tatsächlich für den Großteil der Pflege sprechen könne. Das werde sich nun ändern. Die HauptkritikerInnen der Pflegekammer seien im Rahmen der Gründungskonferenz mit in die Diskussion eingebunden gewesen. Mittlerweile spreche sich auch Ver.di in Rheinland-Pfalz für die Pflegekammer aus. Für die Politik sei relevant: Je informierter die Pflegefachpersonen sind, desto größer ist die Zustimmung.

Warum die „überhitzten“ Diskussionen zur Pflegekammer?

Sehr häufig vermisse ich eine sachgerechte und unaufgeregte Debatte - gerade wenn es um die Pflegekammer geht. Denn es ist doch selbstverständlich, wenn Fragen und auch Kritik formuliert wird. Außerdem ist klar: Auch eine Pflegekammer kann nicht alle Probleme der Pflege lösen. Das ist aber kein Grund, den Pflegeberufen als anerkannten Heilberufen grundsätzlich den Schritt in die längst überfällige berufliche Selbstverwaltung vorzuenthalten. Davon profitieren neben den Pflegenden schließlich auch PatientInnen, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen. Meiner Meinung nach sind Pflegekammern ein unverzichtbarer Schritt zur Aufwertung und Modernisierung der Pflege in Deutschland.

Als Unterstützerin einer Pflegekammer in Berlin weise ich Vorwürfe von GegnerInnen einer Pflegekammer ab, die zu unterstellen, dass Politik damit bloß eine Verschiebung und Individualisierung von Verantwortlichkeiten zu Lasten der Pflegefachkräfte vornehmen wolle, auf Schärfste zurück. Ich sage: Für die Qualität der Pflege, für die Arbeitsbedingungen in der Pflege haben die Bundes- und Länderpolitik selbstverständlich nach wie vor ihre Verantwortung, ebenso wie letztlich Arbeitgeber und Gewerkschaften, wie die Selbstverwaltungsgremien, die Kassen, und viele andere auch.

GegnerInnen der Pflegekammern behaupten, Pflegekammern trügen weder zu einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen, noch zu einer höheren Vergütung oder zu einer verbesserten Qualität in der Pflege bei. Sie seien wirkungslos und zugleich undemokratische Bürokratiemonster, die von der Mehrheit der Pflegenden abgelehnt würden.

Was sind eigentlich die Motive? Befürchten die GegnerInnen der Pflegekammern, dass ihnen einflussreiche KonkurrentInnen um die Meinungsführerschaft und die Einflussnahme in der Pflege- und Gesundheitspolitik entstehen werden? Befürchten Sie den Verlust von Einfluss oder die Abwanderung von Mitgliedern?

Ich setze den Vorwürfen entgegen:

  • Die Aufgabe der Pflegetarifpolitik liegt bei den Gewerkschaften und den ArbeitgeberInnen. In die Tarifautonomie soll gerade nicht eingegriffen werden. Trotzdem bin ich davon überzeugt, dass Pflegekammern langfristig durchaus zu Verbesserungen der Beschäftigungsbedingungen in der Pflege leisten werden.
  • Qualitätsprüfungen, wie sie beispielsweise die Heimaufsichten oder der jeweilige MDK haben, verbleiben auch dort. Eine Pflegekammer hat aber gewichtige Kompetenzen - u.a. die Mitwirkung bei Qualitätsstandards, Mitwirkung bei der Qualitätssicherung, Vergabe von Lizenzen, Beteiligung bei Gesetzgebungsverfahren, Ausgabe möglicher Heilberufeausweise, Gutachtertätigkeit, Schiedsstellentätigkeit, fachliche und rechtliche Beratung, Registrierung verfolgen, Bedarfsklärungen für berufliche Entwicklungen - um auf eine qualitätsvolle Arbeit in der Pflege nachhaltig hinzuwirken. Damit erfolgt auch eine Qualitätsverbesserung der Versorgung für die Bevölkerung.
  • Pflegekammern sind nicht undemokratisch, weil sie eine Pflichtmitgliedschaft und einen Pflichtbeitrag vorsehen. Zum einen werden Heilberufskammern durch ein Gesetz des jeweiligen Länderparlaments geregelt. Zum anderen wählen die Mitglieder in höchst demokratisch in freier, gleicher und geheimer Wahl eine VertreterInnenversammlung, auf der die Beitragshöhe festgelegt wird. Eigentlich gar nichts anderes als in jedem Verein auch.
  • Ärgerlich, aber nicht ernst zu nehmen, ist der Vorwurf des „Bürokratiemonster" in die Wiege zu legen. Dieser Vorwurf müsste an jede Organisation gehen.

Bayern will trotz entsprechenden Votums der Pflegebasis keine Pflegekammer sondern einen sogenannten „Pflegering" gründen. Dieser „Pflegering“ soll ebenso wie der in der Berliner Arbeitsgemeinschaft der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten im Gesundheitswesen (ASG) diskutierte Pflege-Berufsverband eine Form der Körperschaft des öffentlichen Rechts sein. Berufliche Selbstverwaltung nach Kammerrecht ist etwas völlig anderes als eine bloße rechtsformale Institutionshülle. Nach bisheriger Planung ist der Beitritt freiwillig, was ist also anders als bei den bestehenden Berufsverbänden? Diese machen sich doch gerade für die Pflegekammer stark.