Erklärung nach §31 GO der Abgeordneten Mechthild Rawert zu der Abstimmung zur zweiten und dritten Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Drucksache 18/5088, 18/5171) TOP Zusatzpunkt a) der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 16.10.2015
Mit dem Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten wird die Grundlage geschaffen, dass anlasslos und flächendeckend Telekommunikations- und hochsensible Ortungsdaten über Wochen bzw. Monate gespeichert werden. Diese anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung ist ein undifferenziertes und rechtlich unverhältnismäßiges Überwachungsinstrument, das die Grundrechte in unzumutbarer Art einschränkt und alle BürgerInnen unter einen Generalverdacht stellt.
Die Speicherung von Telekommunikationsdaten birgt durch die dabei entstehenden Datenmengen ein unverhältnismäßiges Risiko, das keineswegs mit vermeintlichen, aber objektiv nicht zu belegenden Vorteilen bei der Strafverfolgung aufgewogen werden kann. Zur Aufklärung von Straftaten müssen alle vorhandenen rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden und Ermittlungsbehörden ausreichend personell und technisch ausgestattet sein. Ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht im Auftrag des Bundesjustizministeriums kam 2011 zu dem Ergebnis, dass keine Schutzlücke durch das Fehlen der Vorratsdatenspeicherung existiert.
Ich sehe mit Sorge, dass mit diesem Gesetzentwurf der Staat einen Paradigmenwechsel hin zu einer anlasslosen und flächendeckenden Speicherung von Daten der Bürgerinnen und Bürger anordnet. Hier wird Freiheit gegen eine vermeintliche Sicherheit, von der ich noch nicht einmal überzeugt bin, dass wir sie damit erreichen, in überzogener Weise eingeengt.
Ungeklärt ist für mich auch, welche Beweiskraft die gespeicherten und ggfs. ausgelesenen Daten haben werden. Da Gesprächsinhalte - und das ist gut so - nicht gespeichert werden dürfen, kann eine Person ins Visier der Ermittlungsbehörden gelangen, die zwar Kontakt mit einem Tatverdächtigen hat, aber mit den mutmaßlichen Taten nichts zu tun hat.
Mich treibt auch die Sorge um die Sicherheit der gespeicherten Daten um. Nicht zuletzt der Hackerangriff auf das Datennetz des Deutschen Bundestages zeigt, dass nichts und niemand davor geschützt ist, dass seine oder ihre Daten von fremden, unbefugten Menschen „abgegriffen“ werden können und ein Missbrauch der gespeicherten Daten niemals ausgeschlossen werden kann.
Die BefürworterInnen der Vorratsdatenspeicherung begründen ihr Votum mit besserer Erkenntnisgewinnung für die Strafverfolgungsbehörden. Diese könnten bislang nicht auf alle Verbindungsdaten zugreifen und so entscheidende Verknüpfungen nicht nachvollziehen, um schwere Straftaten zu verhindern. Dieser Argumentation kann ich nicht folgen. Sicherlich ist es für alle Strafverfolgungsbehörden - und auch für mich - von Interesse, schwere Straftaten aufzuklären und das Begehen schwerer Straftaten zu verhindern. Mir ist aber nach wie vor nicht klar, wie aus dem entstehenden Datenwust die entsprechenden Verbindungsdaten herausgefiltert werden können ohne Unbescholtene in die Ermittlungen zu verwickeln. Ich glaube außerdem nicht, dass mutmaßliche TäterInnen so unbedarft agieren und auf Telekommunikationsanbieter zurückgreifen, die zur Speicherung der Daten verpflichtet sind.
Der Gesetzentwurf sieht eine Evaluation nach 36 Monaten vor. Das begrüße ich. Ich bezweifele jedoch, ob wir mit einer Evaluation den realen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung bewerten können. Denn - wo soll der Erfolgsmaßstab ansetzen? Wie schwer wiegt die erfolgreiche Ermittlung oder Verhinderung einer schweren Straftat gegenüber der Überwachung aller BürgerInnen?
Ich habe darüber hinaus Sorge, dass auch dieser Gesetzentwurf gegen europäisches Recht verstößt. Denn der Europäische Gerichtshof fordert, dass Daten weder komplett noch anlasslos gesammelt werden dürfen. Wenn Verbindungs- und Standortdaten jedoch von jeder/m BürgerIn für einen gewissen Zeitraum von den Telekommunikationsanbietern gespeichert werden müssen, sind sie meiner Überzeugung nach komplett und anlasslos gespeichert. Der Europäische Gerichtshof urteilte, dass die damalige Richtlinie EU-Richtlinie 2006/24/EG zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung nicht mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist. Auch das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die damalige Vorratsdatenspeicherung gegen Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetz (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) verstieß.
Aus diesen Gründen werde ich mit NEIN abstimmen.
Mechthild Rawert, MdB
Berlin, vom 16.10.2015