„Ziel der Koalition ist es, die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit auch in der digitalen Welt zu schaffen und zu bewahren“ heißt es im Koalitionsvertrag. Aus meiner Sicht genügte das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten diesem Anspruch nicht. Deshalb habe ich im Deutschen Bundestag bei der Schlussabstimmung am 16. Oktober 2015 mit NEIN gestimmt.
Mit dem Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten wird die Grundlage geschaffen, dass anlasslos und flächendeckend Telekommunikations- und hochsensible Ortungsdaten über Wochen bzw. Monate gespeichert werden. Diese anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung ist ein undifferenziertes und rechtlich unverhältnismäßiges Überwachungsinstrument, das die Grundrechte in unzumutbarer Art einschränkt und alle BürgerInnen unter einen Generalverdacht stellt.
Die Speicherung von Telekommunikationsdaten birgt durch die dabei entstehenden Datenmengen ein unverhältnismäßiges Risiko, das keineswegs mit vermeintlichen, aber objektiv nicht zu belegenden Vorteilen bei der Strafverfolgung aufgewogen werden kann. Zur Aufklärung von Straftaten müssen alle vorhandenen rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden und Ermittlungsbehörden ausreichend personell und technisch ausgestattet sein. Ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht im Auftrag des Bundesjustizministeriums kam 2011 zu dem Ergebnis, dass keine Schutzlücke durch das Fehlen der Vorratsdatenspeicherung existiert.
Ich sehe mit Sorge, dass mit diesem Gesetzentwurf der Staat einen Paradigmenwechsel hin zu einer anlasslosen und flächendeckenden Speicherung von Daten der Bürgerinnen und Bürger anordnet. Hier wird Freiheit gegen eine vermeintliche Sicherheit, von der ich noch nicht einmal überzeugt bin, dass wir sie damit erreichen, in überzogener Weise eingeengt.
Ungeklärt ist für mich auch, welche Beweiskraft die gespeicherten und ggfs. ausgelesenen Daten haben werden. Da Gesprächsinhalte - und das ist gut so - nicht gespeichert werden dürfen, kann eine Person ins Visier der Ermittlungsbehörden gelangen, die zwar Kontakt mit einem Tatverdächtigen hat, aber mit den mutmaßlichen Taten nichts zu tun hat.
Mich treibt auch die Sorge um die Sicherheit der gespeicherten Daten um. Nicht zuletzt der Hackerangriff auf das Datennetz des Deutschen Bundestages zeigt, dass nichts und niemand davor geschützt ist, dass seine oder ihre Daten von fremden, unbefugten Menschen „abgegriffen“ werden können und ein Missbrauch der gespeicherten Daten niemals ausgeschlossen werden kann.
Besserer Erkenntnisgewinnung für die Strafverfolgungsbehörden?
Die BefürworterInnen der Vorratsdatenspeicherung begründen ihr Votum mit besserer Erkenntnisgewinnung für die Strafverfolgungsbehörden. Diese könnten bislang nicht auf alle Verbindungsdaten zugreifen und so entscheidende Verknüpfungen nicht nachvollziehen, um schwere Straftaten zu verhindern. Dieser Argumentation kann ich nicht folgen. Sicherlich ist es für alle Strafverfolgungsbehörden - und auch für mich - von Interesse, schwere Straftaten aufzuklären und das Begehen schwerer Straftaten zu verhindern. Mir ist aber nach wie vor nicht klar, wie aus dem entstehenden Datenwust die entsprechenden Verbindungsdaten herausgefiltert werden können ohne Unbescholtene in die Ermittlungen zu verwickeln. Ich glaube außerdem nicht, dass mutmaßliche TäterInnen so unbedarft agieren und auf Telekommunikationsanbieter zurückgreifen, die zur Speicherung der Daten verpflichtet sind.
Realen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung evaluieren
Der Gesetzentwurf sieht eine Evaluation nach 36 Monaten vor. Das begrüße ich. Ich bezweifele jedoch, ob wir mit einer Evaluation den realen Nutzen der Vorratsdatenspeicherung bewerten können. Denn - wo soll der Erfolgsmaßstab ansetzen? Wie schwer wiegt die erfolgreiche Ermittlung oder Verhinderung einer schweren Straftat gegenüber der Überwachung aller BürgerInnen?
Ich habe darüber hinaus Sorge, dass auch dieser Gesetzentwurf gegen europäisches Recht verstößt. Denn der Europäische Gerichtshof fordert, dass Daten weder komplett noch anlasslos gesammelt werden dürfen. Wenn Verbindungs- und Standortdaten jedoch von jeder/m BürgerIn für einen gewissen Zeitraum von den Telekommunikationsanbietern gespeichert werden müssen, sind sie meiner Überzeugung nach komplett und anlasslos gespeichert. Der Europäische Gerichtshof urteilte 2014, dass die damalige Richtlinie EU-Richtlinie 2006/24/EG zur Einführung einer Vorratsdatenspeicherung nicht mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht entschied schon 2010, dass die damalige Vorratsdatenspeicherung gegen Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetz (Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis) verstieß. Bemerkenswert ist dabei die Begründung des Bundesverfassungsgerichts: "Die Vorratsdatenspeicherung beeinträchtige die (…) Unbefangenheit der Kommunikation. Der Schutz der Menschenwürde verlange ein gewisses Maß an unbeobachteter Kommunikation (…).“
Inhalte des Gesetzes zur Speicherpflicht und Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten
Das von Bundesjustizminister Heiko Maas vorgelegte Gesetz enthält eine eng begrenzte Pflicht für alle Telekommunikationsanbieter zur Speicherung von wenigen, genau bezeichneten Verkehrsdaten unter Ausnahme von Diensten der elektronischen Post - also E-Mail. Oberste Richtschnur aller Regelungen sind dabei die strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes und des Europäischen Gerichtshofes.
Es müssen nur genau bezeichnete Telekommunikationsdaten gespeichert werden. Dazu zählen Rufnummer, Beginn und Ende des Telefonats sowie im Fall von Internet-Telefondiensten auch die IP-Adressen. Diese Daten sollen zehn Wochen gespeichert werden.
Eine Speicherfrist von vier Wochen gilt für die Bezeichnung der Funkzellen, die durch den anrufenden und den angerufenen Anschluss bei Beginn der Verbindung genutzt werden. Diese kurze vierwöchige Speicherfrist ist vorgesehen, weil verhindert werden soll, dass mittels dieser Daten Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellt werden können.
Zusätzlich muss im richterlichen Anordnungsbeschluss einzelfallbezogen begründet werden, warum der Abruf von Funkzellendaten erforderlich und angemessen ist. Anders als etwa in Frankreich dürfen Kommunikationsinhalte und aufgerufene Internetseiten nicht gespeichert werden.
Um die Grundrechte der Betroffenen auf Datenschutz und Schutz ihrer Privatsphäre zu wahren, ist der Datenabruf nur zur Verfolgung von schwersten Straftaten möglich. Daten von BerufsgeheimnisträgerInnen wie JournalistInnen, AnwältInnen oder ÄrztInnen unterliegen einem Verwertungsverbot. Dies gilt auch bei Zufallsfunden.
Wichtig ist, dass der Zugriff auf die gespeicherten Daten transparent und restriktiv geregelt ist: Es gibt einen strengen RichterInnenvorbehalt, d.h. nur auf richterlichen Beschluss hin dürfen Ermittlungsbehörden die Daten abrufen und es gibt keine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft oder der Polizei.
Darüber hinaus müssen die Betroffenen grundsätzlich über jeden Abruf informiert werden. Nach Ablauf der Speicherfrist von zehn bzw. vier Wochen müssen die gespeicherten Daten gelöscht werden. Verstöße gegen die Löschpflichten oder die Weitergabe von Daten haben strenge Sanktionen für die Dienstanbieter zur Folge.
Um die Sicherheit der gespeicherten Daten zu gewährleisten, werden die Dienstanbieter zudem verpflichtet, die Daten zu schützen. Auch müssen die Server, auf denen die Daten gespeichert werden, innerhalb Deutschlands stehen. Wenn eine DienstanbieterIn mit den gespeicherten Daten Handel treibt und diese unbefugt an Dritte weitergibt, ist dies zukünftig eine Straftat nach dem neu zu schaffenden Tatbestand der Datenhehlerei.