Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Damit steigt auch der Fachkräftebedarf in der Pflege. Gegenwärtig sind rund 2,6 Mio. Menschen in Deutschland pflegebedürftig. Für 2030 prognostiziert das Statistische Bundesamt 3,4 Mio. Pflegebedürftige. Die Zahl der Singlehaushalte steigt und die Gesellschaft wird bunter. Diesen Herausforderungen begegnen wir auf bundespolitischer Ebene mit der größten Reform der Sozialen Pflegeversicherung seit ihrer Einführung im Jahr 1995: den Pflegestärkungsgesetzen 1, 2 und 3, der Reform der Pflegezeit und Familienpflegezeit sowie der Pflegeberufereform. Mit dem Pflegestärkungsgesetz 2 führen wir aktuell den Neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und das Neue Begutachtungsverfahren ein. Damit kommen wir endlich weg von eng definierten Verrichtungen und den ihnen zugeordneten Zeiteinheiten („Minutenpflege“). Wir definieren Pflegebedürftigkeit bedarfsgerechter und umfassender und gestalten so die Einstufung in fünf Pflegegrade und das entsprechende Leistungsrecht. Die bisherigen Nachteile für Menschen mit kognitiven und/oder psychischen Einschränkungen werden durch die Reform aufgehoben. Dafür hat die SPD jahrelang gekämpft.
Die Frage, wie wir den Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft begegnen können, stand auch im Zentrum der gut besuchten Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) unter dem Titel „Neue Gestaltungsmöglichkeiten in der Pflege?! - Herausforderungen und Perspektiven“ am 17. November. ExpertInnen aus der Praxis, Politik und Wissenschaft diskutierten über „Chancen und Risiken der zukünftigen pflegerischen Versorgung“. Es war eine angeregte Diskussion mit vielen guten Vorschlägen und Ideen, wie wir die Pflege in Zukunft gestalten können. Wichtige Themen waren u. a. die aktuelle Pflegereform, die Personalausstattung und die Gestaltung der Pflege vor Ort in den Kommunen.
Die gewerkschaftliche Perspektive
Zu Beginn ging Annelie Buntenbach, Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes, auf die bundespolitische Pflegereform und Themen der Pflegepolitik aus gewerkschaftlicher Perspektive ein: Das aktuell vom Bundestag verabschiedete Pflegestärkungsgesetz (PSG) 2, das geplante PSG 3, die Personalsituation in der Pflege, die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf für pflegende Angehörige (zumeist Frauen) und die Stärkung der ambulanten Versorgung.
Die Pflegereform könne nur gelingen, wenn genügend engagierte und qualifizierte Menschen in der Pflege arbeiten und dabei eine gute Arbeitsperspektive haben. Deshalb fordert der DGB verbindliche Personalvorgaben. Annelie Buntenbach wies auf den Zusammenhang zwischen einer ausreichenden Personalausstattung, guten Arbeitsbedingungen in der Pflege und der Qualität der pflegerischen Versorgung hin.
Dazu kann ich mitteilen, dass wir mit dem PSG 2 ein ExpertInnengremium beauftragt haben, ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich dafür eingesetzt, dass dabei der Zusammenhang zwischen Versorgungsqualität und guter Arbeit in der Pflege im Blick ist. Die Entwicklung und Erprobung eines funktionierenden Verfahrens benötigt ausreichend Zeit: Die Aufgabe kann erst bis 2020 umgesetzt werden.
Zum Familienpflegezeitgesetz, welches Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist, bemerkte Annelie Buntenbach, dass damit eine gute Grundlage geschaffen wurde. Das Gesetz gehe aber noch nicht weit genug. Ich persönlich bin froh über das, was wir in dieser großen Koalition bereits erreicht haben. Meines Erachtens kann sich dieses sehen lassen: z. B. eine Lohnersatzleistung á la Kindergeld für pflegende Angehörige, ein Rechtsanspruch auf Freistellung für die Dauer von bis zu 24 Monaten oder die Verbesserung der sozialen Sicherung der Angehörigen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Selbstverständlich will ich noch mehr und werde bei diesem Thema weiterhin am Ball bleiben. Nicht zuletzt ist dies eine Frage der Finanzierung und des Ausgleichs der Interessen zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Meine Unterstützung liegt hier klar auf der Seite der erwerbstätigen Angehörigen.
Ich stimme Annelie Buntenbach zu, dass ehrenamtliche Pflegekräfte und pflegende Angehörige keinesfalls die alleinige Lösung des Fachkräftemangels im Pflegebereich sein dürfen. Diese sind eine wichtige Ressource zivilgesellschaftlichen Engagements, aber wir müssen auch viel tun, damit professionelle Pflegearbeit ein attraktiver Beruf bleibt und eine bessere soziale und pflegerische Infrastruktur vor Ort aufgebaut wird.
Gestaltung der Pflege in den Kommunen
Bernhard Scholten, Abteilungsleiter Soziales und Demografie im Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz, referierte über die Innovationen in der Pflege vor Ort am Beispiel Rheinland-Pfalz.
Nach Scholtens Einschätzung wird sich die professionelle Pflege in den nächsten Jahren verändern. Beruflich Pflegende werden dabei eher koordinierende Aufgaben übernehmen, Angehörige und Ehrenamtliche die eigentliche Betreuung leisten.
Bernhard Scholten betonte, dass es wichtig sei, in ländlichen Regionen das pflegerische Umfeld gesundheitsfördernd zu gestalten und berichtete vom Projekt „Gemeindeschwester Plus“ in Rheinland Pfalz. Diese übernehme keine medizinisch-pflegerischen Aufgaben und Leistungen sondern suche vielmehr Kontakt zu älteren Menschen über 80 Jahren, bei denen Pflegebedürftigkeit noch gar nicht vorliegt. Dabei nimmt sie eine beratende Funktion ein und analysiert das soziale Umfeld. Ich halte dies für ein tolles und beispielhaftes Projekt. Wir müssen so viel wie möglich für die Vorbeugung von Pflegebedürftigkeit unternehmen.
Michael Plazek, Projektleiter "Kommunale Gestaltungsmöglichkeiten bedürfnisorientierter Altenpflegestrukturen" am Potsdam Centrum für Politik und Management - PCPM, stellte die bundesweite Studie „Pflege kommunal gestalten“ vor, die voraussichtlich bis Ende dieses Jahres veröffentlicht wird:
Aus der Studie gehe hervor, dass es durch verschiedene angebots- und nachfrageorientierte Instrumente sowie Maßnahmen auf kommunaler Ebene möglich sei, eine bedürfnisorientierte ambulante Versorgung von Pflegebedürftigen zu stärken. Dazu zählen der Ausbau effektiver Vernetzungsgremien, die aktive Nutzung der Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunalverwaltung, die strategische Ausrichtung der kommunalen Investoren- und Trägerberatung und die Ermöglichung einer Auszeit durch Tagespflegezeiten für pflegende Angehörige.
Generell komme der Kommune eine entscheidende Rolle als Initiatorin und Moderatorin von Steuerungsprozessen in der Pflege zu.
Blick über die Grenze
Welche entscheidende Rolle Kommunen in der Pflege spielen können, wurde auch im Vortrag von Petra Fuhrmann, Referentin im Stabsbereich Gesundheitspolitik der AOK Rheinland-Hamburg, deutlich, in dem es um wohnortnahe Versorgungskonzepte in den Niederlanden ging. Ich finde, von unserem Nachbarland könnte sich Deutschland einiges abgucken.
Die öffentliche Pflegeversicherung in den Niederlanden kann im Gegensatz zu Deutschland eine deutlich längere Geschichte vorweisen: Sie existiert seit 1968. Die öffentlichen Aufgaben für die Pflegeversicherung sind in den Niederlanden erheblich höher und ein höherer Anteil an der Bevölkerung erhält Leistungen als in Deutschland. Während die Niederlande über ein sogenanntes servicebasiertes Pflegesystem verfügen, zählt Deutschland zu den Ländern mit einem familienorientierten System, d. h. dass in Deutschland die Pflege durch Angehörige ein stärkeres Gewicht hat. Wir stärken in Deutschland gegenwärtig die ambulante Pflege erheblich. In den Niederlanden spielt sie dennoch eine noch größere Rolle.
Einiges aus den Niederlanden erinnert an unsere gegenwärtigen Debatten über die Rolle der Kommune in der Pflege und die quartiersbezogene Pflege. Wir haben ein anderes System und historisch bedingt unterschiedliche Lösungen für ähnliche Probleme. Aber ein Blick über die Grenze lohnt sich: Den Kommunen kommen in den Niederlanden die Aufgaben Mobilität, hauswirtschaftliche Hilfe, Freizeitangebote, Wohnraumanpassungen und Hilfsmittelversorgung zu. Interessant ist die Funktion der Gemeindepflegekraft, einer Pflegekraft mit spezieller Weiterbildung. Sie stellt ein Bindeglied zwischen den medizinischen und den sozialen Aspekten der Pflege dar. Diese Gemeindepflegefachkraft ist die erste Ansprechpartnerin für pflegebedürftige, aber auch für noch nicht pflegebedürftige ältere Menschen und hat damit eine präventive Funktion. Sehr positiv finde ich auch die Öffnung der Pflegeheime in die Sozialräume oder dass es Pflegewohnungen gibt, die an Pflegeheime angeschlossen sind.
Zusammenspiel von professioneller Pflege und Ehrenamt
Ausgehend vom demografischen Wandel und der Frage, wie wir in Zukunft gute Pflege mit weniger Pflegekräften leisten können, stellte Alexander Künzel, Vorstandsvorsitzender der Bremer Heimstiftung, in seinem Vortrag das interessante und inspirierende Projekt der Bremer Heimstiftung „SONG“ („Soziales neu gestalten“) vor. Es handelt sich dabei um eine innovative Form der sozialraumorientieren Altenhilfe. Pflegeheime sind bei diesem Projekt verpflichtet, mit den jeweiligen Stadtteilen zu kooperieren – nach dem Grundsatz „Kooperation geht vor Eigenleistung“.
Des Weiteren trainieren in diesem Projekt professionelle Pflegekräfte ehrenamtlich Engagierte. Es gibt einen gemeinsamen Verantwortungsmix von Profis und Zivilgesellschaft und die Pflege lebt von hoher Bürgerbeteiligung. Wichtiges Prinzip ist die Inklusion. Soziale Netze und neue Formen des Hilfemixes werden gefördert. Quartiersmanager haben die Aufgabe, Vernetzungsprozesse vor Ort zu planen, zu steuern und zu realisieren. Pflege findet damit nicht im Abseits statt, sondern ist stark in das Quartier integriert.
Die Bedeutung des Ehrenamts wird in Zukunft m. E. mit hoher Wahrscheinlichkeit wachsen. D. h. keinesfalls, dass wir uns einseitig auf ehrenamtliche Strukturen verlassen oder gar staatliche Verantwortung abschieben dürfen. Ohne professionelle Kräfte kann Pflege überhaupt nicht funktionieren. Wenn wir aber in der Rente 10 bis 20 gesunde Jahre hinzugewinnen, werden wir voraussichtlich keine Lust dazu haben, diese lange Zeit untätig zu verbringen. Wir werden uns gerne Tätigkeiten suchen, die uns sinnvoll erscheinen, z. B. bürgerschaftliches Engagement. Diese Potenziale gilt es in die Vielfalt der Angebot zu integrieren – für ein selbstbestimmtes und würdevolles Altern auch bei Pflegebedürftigkeit. Ich glaube, dass Pflege in Zukunft kreativer sein wird und offen für neue Wege sein sollte und setzte mich dafür ein, dass wir in der Politik Initiativen aus dem gesellschaftlichen Raum gut wahrnehmen und fördern.
Die Frage, wie wir den Herausforderungen der älter werdenden Gesellschaft begegnen können, stand auch im Zentrum der gut besuchten Veranstaltung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) unter dem Titel „Neue Gestaltungsmöglichkeiten in der Pflege?! - Herausforderungen und Perspektiven“ am 17. November 2015. ExpertInnen aus der Praxis, Politik und Wissenschaft diskutierten über „Chancen und Risiken der zukünftigen pflegerischen Versorgung“. Es war eine angeregte Diskussion mit vielen guten Vorschlägen und Ideen, wie wir die Pflege in Zukunft gestalten können. Wichtige Themen waren u. a. die aktuelle Pflegereform, die Personalausstattung und die Gestaltung der Pflege vor Ort in den Kommunen.
Die gewerkschaftliche Perspektive
Zu Beginn ging Annelie Buntenbach, Mitglied im Geschäftsführenden Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes, auf die bundespolitische Pflegereform und Themen der Pflegepolitik aus gewerkschaftlicher Perspektive ein: Das aktuell vom Bundestag verabschiedete Pflegestärkungsgesetz (PSG) 2, das geplante PSG 3, die Personalsituation in der Pflege, die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf für pflegende Angehörige (zumeist Frauen) und die Stärkung der ambulanten Versorgung.
Die Pflegereform könne nur gelingen, wenn genügend engagierte und qualifizierte Menschen in der Pflege arbeiten und dabei eine gute Arbeitsperspektive haben. Deshalb fordert der DGB verbindliche Personalvorgaben. Annelie Buntenbach wies auf den Zusammenhang zwischen einer ausreichenden Personalausstattung, guten Arbeitsbedingungen in der Pflege und der Qualität der pflegerischen Versorgung hin.
Dazu kann ich mitteilen, dass wir mit dem PSG 2 ein ExpertInnengremium beauftragt haben, ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen zu entwickeln. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich dafür eingesetzt, dass dabei der Zusammenhang zwischen Versorgungsqualität und guter Arbeit in der Pflege im Blick ist. Die Entwicklung und Erprobung eines funktionierenden Verfahrens benötigt ausreichend Zeit: Die Aufgabe kann erst bis 2020 umgesetzt werden.
Zum Familienpflegezeitgesetz, welches Anfang dieses Jahres in Kraft getreten ist, bemerkte Annelie Buntenbach, dass damit eine gute Grundlage geschaffen wurde. Das Gesetz gehe aber noch nicht weit genug. Ich persönlich bin froh über das, was wir in dieser großen Koalition bereits erreicht haben. Meines Erachtens kann sich dieses sehen lassen: z. B. eine Lohnersatzleistung á la Kindergeld für pflegende Angehörige, ein Rechtsanspruch auf Freistellung für die Dauer von bis zu 24 Monaten oder die Verbesserung der sozialen Sicherung der Angehörigen in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Selbstverständlich will ich noch mehr und werde bei diesem Thema weiterhin am Ball bleiben. Nicht zuletzt ist dies eine Frage der Finanzierung und des Ausgleichs der Interessen zwischen ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen. Meine Unterstützung liegt hier klar auf der Seite der erwerbstätigen Angehörigen.
Ich stimme Annelie Buntenbach zu, dass ehrenamtliche Pflegekräfte und pflegende Angehörige keinesfalls die alleinige Lösung des Fachkräftemangels im Pflegebereich sein dürfen. Diese sind eine wichtige Ressource zivilgesellschaftlichen Engagements, aber wir müssen auch viel tun, damit professionelle Pflegearbeit ein attraktiver Beruf bleibt und eine bessere soziale und pflegerische Infrastruktur vor Ort aufgebaut wird.
Gestaltung der Pflege in den Kommunen
Bernhard Scholten, Abteilungsleiter Soziales und Demografie im Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie des Landes Rheinland-Pfalz, referierte über die Innovationen in der Pflege vor Ort am Beispiel Rheinland-Pfalz.
Nach Scholtens Einschätzung wird sich die professionelle Pflege in den nächsten Jahren verändern. Beruflich Pflegende werden dabei eher koordinierende Aufgaben übernehmen, Angehörige und Ehrenamtliche die eigentliche Betreuung leisten.
Bernhard Scholten betonte, dass es wichtig sei, in ländlichen Regionen das pflegerische Umfeld gesundheitsfördernd zu gestalten und berichtete vom Projekt „Gemeindeschwester Plus“ in Rheinland Pfalz. Diese übernehme keine medizinisch-pflegerischen Aufgaben und Leistungen sondern suche vielmehr Kontakt zu älteren Menschen über 80 Jahren, bei denen Pflegebedürftigkeit noch gar nicht vorliegt. Dabei nimmt sie eine beratende Funktion ein und analysiert das soziale Umfeld. Ich halte dies für ein tolles und beispielhaftes Projekt. Wir müssen so viel wie möglich für die Vorbeugung von Pflegebedürftigkeit unternehmen.
Michael Plazek, Projektleiter "Kommunale Gestaltungsmöglichkeiten bedürfnisorientierter Altenpflegestrukturen" am Potsdam Centrum für Politik und Management - PCPM, stellte die bundesweite Studie „Pflege kommunal gestalten“ vor, die voraussichtlich bis Ende dieses Jahres veröffentlicht wird:
Aus der Studie gehe hervor, dass es durch verschiedene angebots- und nachfrageorientierte Instrumente sowie Maßnahmen auf kommunaler Ebene möglich sei, eine bedürfnisorientierte ambulante Versorgung von Pflegebedürftigen zu stärken. Dazu zählen der Ausbau effektiver Vernetzungsgremien, die aktive Nutzung der Gestaltungsmöglichkeiten der Kommunalverwaltung, die strategische Ausrichtung der kommunalen Investoren- und Trägerberatung und die Ermöglichung einer Auszeit durch Tagespflegezeiten für pflegende Angehörige.
Generell komme der Kommune eine entscheidende Rolle als Initiatorin und Moderatorin von Steuerungsprozessen in der Pflege zu.
Blick über die Grenze
Welche entscheidende Rolle Kommunen in der Pflege spielen können, wurde auch im Vortrag von Petra Fuhrmann, Referentin im Stabsbereich Gesundheitspolitik der AOK Rheinland-Hamburg, deutlich, in dem es um wohnortnahe Versorgungskonzepte in den Niederlanden ging. Ich finde, von unserem Nachbarland könnte sich Deutschland einiges abgucken.
Die öffentliche Pflegeversicherung in den Niederlanden kann im Gegensatz zu Deutschland eine deutlich längere Geschichte vorweisen: Sie existiert seit 1968. Die öffentlichen Aufgaben für die Pflegeversicherung sind in den Niederlanden erheblich höher und ein höherer Anteil an der Bevölkerung erhält Leistungen als in Deutschland. Während die Niederlande über ein sogenanntes servicebasiertes Pflegesystem verfügen, zählt Deutschland zu den Ländern mit einem familienorientierten System, d. h. dass in Deutschland die Pflege durch Angehörige ein stärkeres Gewicht hat. Wir stärken in Deutschland gegenwärtig die ambulante Pflege erheblich. In den Niederlanden spielt sie dennoch eine noch größere Rolle.
Einiges aus den Niederlanden erinnert an unsere gegenwärtigen Debatten über die Rolle der Kommune in der Pflege und die quartiersbezogene Pflege. Wir haben ein anderes System und historisch bedingt unterschiedliche Lösungen für ähnliche Probleme. Aber ein Blick über die Grenze lohnt sich: Den Kommunen kommen in den Niederlanden die Aufgaben Mobilität, hauswirtschaftliche Hilfe, Freizeitangebote, Wohnraumanpassungen und Hilfsmittelversorgung zu. Interessant ist die Funktion der Gemeindepflegekraft, einer Pflegekraft mit spezieller Weiterbildung. Sie stellt ein Bindeglied zwischen den medizinischen und den sozialen Aspekten der Pflege dar. Diese Gemeindepflegefachkraft ist die erste Ansprechpartnerin für pflegebedürftige, aber auch für noch nicht pflegebedürftige ältere Menschen und hat damit eine präventive Funktion. Sehr positiv finde ich auch die Öffnung der Pflegeheime in die Sozialräume oder dass es Pflegewohnungen gibt, die an Pflegeheime angeschlossen sind.
Zusammenspiel von professioneller Pflege und Ehrenamt
Ausgehend vom demografischen Wandel und der Frage, wie wir in Zukunft gute Pflege mit weniger Pflegekräften leisten können, stellte Alexander Künzel, Vorstandsvorsitzender der Bremer Heimstiftung, in seinem Vortrag das interessante und inspirierende Projekt der Bremer Heimstiftung „SONG“ („Soziales neu gestalten“) vor. Es handelt sich dabei um eine innovative Form der sozialraumorientieren Altenhilfe. Pflegeheime sind bei diesem Projekt verpflichtet, mit den jeweiligen Stadtteilen zu kooperieren – nach dem Grundsatz „Kooperation geht vor Eigenleistung“.
Des Weiteren trainieren in diesem Projekt professionelle Pflegekräfte ehrenamtlich Engagierte. Es gibt einen gemeinsamen Verantwortungsmix von Profis und Zivilgesellschaft und die Pflege lebt von hoher Bürgerbeteiligung. Wichtiges Prinzip ist die Inklusion. Soziale Netze und neue Formen des Hilfemixes werden gefördert. Quartiersmanager haben die Aufgabe, Vernetzungsprozesse vor Ort zu planen, zu steuern und zu realisieren. Pflege findet damit nicht im Abseits statt, sondern ist stark in das Quartier integriert.
Die Bedeutung des Ehrenamts wird in Zukunft m. E. mit hoher Wahrscheinlichkeit wachsen. D. h. keinesfalls, dass wir uns einseitig auf ehrenamtliche Strukturen verlassen oder gar staatliche Verantwortung abschieben dürfen. Ohne professionelle Kräfte kann Pflege überhaupt nicht funktionieren. Wenn wir aber in der Rente 10 bis 20 gesunde Jahre hinzugewinnen, werden wir voraussichtlich keine Lust dazu haben, diese lange Zeit untätig zu verbringen. Wir werden uns gerne Tätigkeiten suchen, die uns sinnvoll erscheinen, z. B. bürgerschaftliches Engagement. Diese Potenziale gilt es in die Vielfalt der Angebot zu integrieren – für ein selbstbestimmtes und würdevolles Altern auch bei Pflegebedürftigkeit. Ich glaube, dass Pflege in Zukunft kreativer sein wird und offen für neue Wege sein sollte und setzte mich dafür ein, dass wir in der Politik Initiativen aus dem gesellschaftlichen Raum gut wahrnehmen und fördern.