Persönliche Erklärung der Abgeordneten Mechthild Rawert zum Abstimmungsverhalten nach § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ am 25.2.2016
Als Mitglied des den „Entwurf eines Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren“ mitberatenden Gesundheitsausschusses nehme ich aus gesundheitspolitischer Sicht Stellung zum obigen Gesetzentwurf. Ich stimme mit nein.
Der vorliegende Gesetzentwurf erfährt aus gesundheitspolitischer Sicht erhebliche Kritik von Seiten der Bundesärztekammer, der Bundespsychotherapeutenkammer und der Diakonie Deutschland. Er enthält erhebliche qualitative und zeitliche Einschränkungen bei der Glaubhaftmachung krankheitsbedingter Abschiebungshindernisse (unverzügliche Vorlage der Bescheinigung allein von approbierten ÄrztInnen) und beim Zugang zur medizinischen Versorgung im Zielstaat.
Für mich ist klar, ÄrztInnen müssen auch bei einem beschleunigten Verfahren ausreichend Zeit haben, Asylbegehrende auf körperliche und seelische Krankheiten hin zu untersuchen und diese im begründeten Fall geltend zu machen. Ob Erkrankungen bereits in ihrem Heimatland bestanden oder erst auf der Flucht bzw. in Deutschland aufgetreten sind, ist aus ärztlicher Sicht unerheblich. Für medizinische Gutachten, Stellungnahmen und Untersuchungen von Geflüchteten und Asylsuchenden in aufenthaltsrechtlichen Verfahren und vor der Abschiebung sind ausschließlich ÄrztInnen und PsychotherapeutInnen zu beauftragen, die über eine entsprechende Qualifikation verfügen.
Lebensbedrohliche oder schwerwiegenden Erkrankung können auch psychische Krankheiten sein. Die EU-Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU, die mit Frist zum Juni 2015 von allen EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden sollte, enthält in Kapitel IV Bestimmungen für schutzbedürftige Personen. Nach Art. 21 der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten die spezielle Situation von schutzbedürftigen Personen, wie bspw. Menschen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben, zu berücksichtigen. Die Richtlinie ist in Deutschland bisher nicht in nationales Recht umgesetzt worden. Nur mit der Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinie kann den medizinischen und psychologischen Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Geflüchteter und Asylbegehrender zu allen Zeitpunkten ihres Aufenthaltes in Deutschland Rechnung getragen werden. Es bedarf verpflichtender Gewaltschutzkonzepte für BetreiberInnen von Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften.
Ein Abschiebungsverbot bei drohender Gefahr für Leib oder Leben aus gesundheitlichen Gründen soll nicht mehr gelten, wenn eine ausreichende medizinische Versorgung nur in einem Teil des Zielstaats der Abschiebung gewährleistet ist. Die geplante Regelung widerspricht jedoch der Rechtsprechung, nach der es bei der Beurteilung der schwerwiegenden Gesundheitsgefahr auf die Zugangsmöglichkeit im jeweiligen Einzelfall ankommt und nicht pauschal der Zugang zu ausreichender Versorgung angenommen werden kann.
Bei ausreisepflichtige Personen, insbesondere abgelehnte AsylantragstellerInnen, wird eine gesetzliche Vermutung aufgestellt, dass der Gesundheitszustand einer Abschiebung grundsätzlich nicht entgegensteht. Der Generalverdacht, dass diese Personen ihre Symptome lediglich vortäuschen, um nicht abgeschoben zu werden, ist empirisch nicht belegt. Dies gilt insbesondere für psychische Erkrankungen – vor allem für posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Psychische Erkrankungen sind aber als schwerwiegende und lebensbedrohliche Erkrankungen zu berücksichtigen.
In der Herkunftsregion, wo das Trauma gesetzt wurde, gibt es in der Regel keine Voraussetzungen für eine erfolgreiche psychotherapeutische Behandlung. Die S3 Leitlinie Posttraumatische Belastungsstörung legt zudem dar, dass eine traumaspezifische Psychotherapie nicht allein durch eine Psychopharmakotherapie ersetzt werden kann. Zudem muss eine angemessene psychiatrische und psychotherapeutische Begutachtung von Asylsuchenden gewährleistet sein. Die Einschränkung, dass eine medizinische Versorgung auch dann vorliegt, wenn sie nur in einem Teil des Zielstaates gewährleistet ist, muss dahingehend präzisiert werden, dass das Erlangen der medizinischen Versorgung im konkreten Einzelfall realistisch möglich sein muss.
Laut der geplanten Regelung soll künftig nur noch ein „qualifiziertes ärztliches Attest“ zu einer „Beeinträchtigung“ der Abschiebung führen können. Es ist sachlich nicht nachvollziehbar, warum ein Attest nur durch einen approbierten Arzt oder Ärztin vorgelegt werden darf. Dies verstößt außerdem gegen das Psychotherapeutengesetz, welches die statusmäßige Gleichstellung von PsychologInnen und PsychotherapeutInnen mit den ärztlichen Berufsgruppen vorsieht. Für die Bescheinigung psychischer Erkrankungen sollte allein fachlich spezialisiertes Personal wie ärztliche PsychotherapeutInnen, FachärztInnen für Psychiatrie und Psychotherapie sowie FachärztInnen für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie oder psychologische PsychotherapeutInnen zugelassen werden.
Ohne Sprachverständigung wird es regelhaft nicht möglich sein, eine ärztliche Bescheinigung nach den im Gesetzentwurf genannten Kriterien zu erstellen. Zur Erstellung einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung müssen qualifizierte DolmetscherInnen oder Dolmetscherdienste in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen. Zudem muss gewährleistet sein, dass ÄrztInnen auch im beschleunigten Verfahren ausreichend Zeit für das Ausstellen einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung zur Verfügung steht.
Die Anforderung, eine Bescheinigung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) unverzüglich nach der Abschiebungsandrohung vorzulegen, widerspricht Erkenntnissen der Wissenschaft, wonach eine PTBS teilweise erst nach erheblichen Zeiträumen erkannt werden kann. Wird ein Gutachten nicht unmittelbar nach Erhalt der Abschiebungsandrohung vorgelegt, soll es keine Berücksichtigung mehr finden können.
Dies ist nicht sachgerecht, insbesondere ist bei den geplanten beschleunigten Verfahren eine Berücksichtigung von Abschiebungshindernissen bei einer gesamten Verfahrensdauer innerhalb von zwei Wochen nahezu ausgeschlossen.
In der Flüchtlingshilfe wurden aufgrund der unzureichenden Versorgung von Geflüchteten im gesundheitlichen Regelsystem psychosoziale Zentren aufgebaut, da sie trotz dringender Behandlungsbedürftigkeit teilweise als Leistungsbeziehende nach dem Asylbewerberleistungsgesetz keinen Zugang zur Regelgesundheitsversorgung haben. Hier bestehen regelmäßig Wartezeiten von einem halben Jahr, teilweise von über einem Jahr. Aufgrund dieser Überlastung ist es umso schwieriger, zeitnah Gutachten zu erstellen, die eine Aussetzung der Abschiebung bewirken könnten.
Erkrankungen sollen der Abschiebung nicht entgegenstehen, wenn sie bereits vor der Einreise bestanden haben. Wie unterschieden werden soll, ob Erkrankungen bereits bestanden haben oder erst in der Bundesrepublik entstanden sind, ist nicht nachvollziehbar. Im Regelfall wird dies nur auf einer fachlich nicht abgesicherten Annahme beruhen können.