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Mehr Inklusion im Berliner Gesundheitswesen

Mehr Inklusion im Berliner Gesundheitswesen: Medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB)

Wie die Medizinischer Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) ausgestaltet werden? Es freut mich, dass darüber in Berlin intensiv diskutiert wird, wie die finanzielle, personelle und sächliche Ausstattung der MZEB’s im Rahmen einer ganzheitlichen medizinischen und gesundheitlichen Versorgung aussehen soll, damit diese effizient arbeiten können.

Versorgungsverbund Berlin: medizinische Versorgung geistig und mehrfach behinderter Menschen gestalten

Am 2. März 2016 hat der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband Landesverband Berlin e. V. zu einem Austausch zwischen AkteurInnen aus Angehörigenverbänden, Selbsthilfe, Krankenkassen und Gesundheitspolitik in die Landesgeschäftsstelle eingeladen. Zur Diskussion gestellt wurde das Konzept „Versorgungsverbund Berlin: medizinische Versorgung geistig und mehrfach behinderter Menschen (MZEB)“. Dieses soll dafür sorgen, dass der gleichberechtigte Zugang zu sozialräumlich orientierten Gesundheitsdiensten, wie in Artikel 25 der UN-Behindertenrechtskonvention menschenrechtlich gefordert, auch für diese Personengruppe gilt. Ich danke für die Überlegungen, machen sie doch deutlich, dass sowohl die Berliner Zivilgesellschaft als auch die Berliner Politik ein inklusives Gesundheitswesen anstreben.

Gutachten und Positionspapier

Zusammen mit der Arbeitsgruppe (AG) MZEB, einem Verbund von VertreterInnen verschiedener Berliner im Bereich der Behindertenhilfe tätigen Organisationen, hat DER PARITÄTER BERLIN das 59seitige Gutachten „Medizinische Zentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen in Berlin“ erstellen lassen. Das Gutachten bildet die Grundlage des 8seitigen Positionspapiers „Versorgungsverbund für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen in Berlin“. Die AG MZEB entwickelte Vorschläge zur Gestaltung einer inklusiven Praxis im Land Berlin, um eine wohnortnahe, barrierefreie und flächendeckende Versorgung mit Präventions-, Gesundheits-, Rehabilitations- und Pflegeangeboten zu schaffen, die für Menschen mit Behinderungen zugänglich sind. Medizinische Zentren im Sinne des § 119c SGB V sollen zur Sicherstellung der ambulanten (zahn-)medizinischen und therapeutischen Versorgung errichtet werden. Die Angebote wenden sich an Menschen mit angeborener geistiger Behinderung, durch eine erworbene Hirnschädigung Behinderte und Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen.

Unter der Moderation von Dr. med Ellis Huber, stv. Vorsitzender im Vorstand des Paritätischen Landesverbandes Berlin e.V. erfolgte eine Diskussion des Gutachtens und des Positionspapieres aus verschiedenen Blickpunkten:

  • Aus der Praxis ärztlicher Versorgung
  • Zugangsbarrieren in der Versorgung
  • Medizinische Versorgung aus Sicht der Angehörigen und InteressenvertreterInnen
  • Krankenkassen, (Selbst-)Verwaltung, Politik
  • Versorgungsverbund für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen.

Die Mitglieder der AG MZEB sind überzeugt, dass eine inklusiv wirkende gesundheitliche Versorgung im Land Berlin aufzubauen gelingen wird, „wenn komplex behinderte Menschen als Akteure begriffen werden, deren Bedarfe für den Prozess der Erstellung medizinischer Leistungen handlungsleitend sind“.

Gesundheitspolitische Berliner Herausforderungen

Die Verbesserung hin zu einer passgenauen ambulanten medizinischen Versorgungsstruktur für Menschen mit Behinderungen stellt für Berlin ein „Versorgungs- und Betreuungsprojekt“ dar, welches rund 22.000 Menschen betrifft und jährlich einen Kostenaufwand von ca. 128 Millionen Euro umfasst. Niemand sollte den komplexen Versorgungs- und Steuerungsbedarf unterschätzen.

An der Veranstaltung haben auch Ülker Radziwill, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Soziales und Senioren der SPD-Fraktion, und Jasenka Villbrandt, Sprecherin für Soziales (Alten-, Behinderten- und Pflegepolitik) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus dem Abgeordnetenhaus von Berlin teilgenommen. Die Teilnahme der beiden Politikerinnen ist für mich ein gutes Zeichen dafür, dass in der Berliner Politik das Interesse an einer qualitativ hochwertigen inklusiven gesundheitlichen Regel- als auch einer spezialisierten ambulanten Versorgung für alle Menschen, also auch der Menschen mit Behinderungen, sehr hoch ist.

Ist-Situation: Menschen mit Behinderungen sind im Gesundheitswesen benachteiligt

Obwohl Paragraph 2 a des zuständigen Sozialgesetzbuches (SGB) V - Gesetzliche Krankenversicherung - vorschreibt „Den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen ist Rechnung zu tragen“ begegnen Menschen mit Behinderungen und deren Angehörigen im Alltag im Gesundheitswesen zahlreiche Barrieren.

Menschen mit Behinderungen haben wie andere Menschen auch einen behinderungsunspezifischen Versorgungsbedarf, darüber hinaus aber auch einen gesundheitlichen Versorgungsbedarf, der unmittelbar mit der Behinderung zusammenhängt.

In einem inklusiven Gesundheitswesen wird ersteres im Rahmen der medizinischen Regelversorgung erbracht. Dafür muss im Kopf und im Herz insbesondere einer jeden Ärztin/Therapeutin, eines jeden Arztes/Therapeuten ein Abbau der Barrieren im Kopf und im Herzen beginnen. Diese müssen Konsequenzen ziehen und konkret handeln, unter anderem indem sie weiteres Wissen erwerben und der Abbau der zahlreichen Barrieren in den Praxen und Krankenhäusern vornehmen bzw. stetig anmahnen. Die Realität ist leider eine andere: Gerade erwachsene Menschen mit Behinderungen und ihre Angehörigen erleben immer wieder, dass die Kenntnisse und Ausstattungen zur Behandlung von behinderten Menschen in der ambulanten Regelversorgung nicht ausreichend vorhanden sind.

Zur Erfüllung des behinderungsbedingten gesundheitlichen Versorgungsbedarfs existieren für Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr ambulante Versorgungsstrukturen in den Kinder-und Jugendambulanzen (KJA/SPZ) und Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) mit speziell qualifizierten ärztlichen und nichtärztlichen Gesundheitsfachkräften. Ein entsprechendes anschließendes diagnostisches und therapeutisches Versorgungsangebot für die Erwachsenen fehlt aber noch. Diese werden derzeit auf eine Grundversorgung mit deutlicher Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes und ihrer Funktions- und Teilhabemöglichkeiten verwiesen.

Inklusion im Gesundheitswesen geht uns alle an

Schon in der vergangenen 17. Legislaturperiode habe ich mich im Ausschuss für Gesundheit und entsprechenden Positionspapieren der SPD-Bundestagsfraktion für die Einrichtung von Medizinischen Zentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) sehr stark gemacht. Stark geprägt hatte mich mein „Praxistag“ im  Sozialpädiatrischem  Zentrum (SPZ)  Weißensee am 2. März 2011 sowie auch die Forderungen auf meinem Sommerfrühstück Gesundheit 2012 in Tempelhof-Schöneberg nach einem inklusiven Gesundheitswesen, welches den menschenrechtlichen Forderungen der UN-Behindertenrechtskonvention entspricht.

In den Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD wurde 2013 hineinverhandelt: „Für Erwachsene mit geistiger Behinderung und schweren Mehrfachbehinderungen sollen medizinische Behandlungszentren analog zu den sozialpädiatrischen zur (zahn-)medizinischen Behandlung geschaffen werden (neuer Paragraf 119c SGBV).“ Das war für mich auch ein Grund, für die Annahme des Koalitionsvertrages unter den SPD-Mitgliedern zu werben.

Der Deutsche Bundestag setzte einen Meilenstein für ein inklusiveres Gesundheitswesen

Am 11. Juni  2015 hat der Deutsche Bundestag den Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG)“ (Drucksache 18/4095 mit Grundlagen und Erläuterungen) in der vom Gesundheitsausschuss geänderten Fassung (Beschlussempfehlung und Bericht, Drucksache 18/5123) angenommen.

Mit diesem Versorgungsstärkungsgesetz wurden unter anderem auch Leistungen zur Verhütung von Zahnerkrankungen bei pflegebedürftigen und behinderten Menschen im Umfang von 50 Millionen Euro eingeführt.

Mit dem GKV-VSG sind vor allem aber auch die Grundlagen für die Medizinischen Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen (MZEB) geschaffen worden. Mit dem neuen § 119c SGB V ist seitdem gesetzlich der Weg gebahnt, eine qualitativ hochwertige und auf die Bedarfe der Menschen mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen ausreichende ambulante Struktur aufzubauen. Angestrebt wird dabei eine enge Vernetzung mit den Angeboten der Regelversorgung, u.a. mit anderen behandelnden Ärzten, den Einrichtungen und Diensten der Eingliederungshilfe und mit dem Öffentlichen Gesundheitsdienst. Ebenso wurden im neuen § 43b SGB V die nichtärztlichen Leistungen im Rahmen solcher medizinischer Behandlungszentren geregelt: Auch versicherte Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schweren Mehrfachbehinderungen haben Anspruch auf nichtärztliche Leistungen, insbesondere auf psychologische, therapeutische und psychosoziale Leistungen, wenn sie unter ärztlicher Verantwortung durch ein medizinisches Behandlungszentrum nach § 119c erbracht werden und erforderlich sind, um eine Krankheit zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu erkennen und einen Behandlungsplan aufzustellen. Hinsichtlich der Vergütung wurden die medizinischen Behandlungszentren in den novellierten § 120 SGB V einbezogen. Damit werden Pauschalvergütungen der multiprofessionellen Arbeit, die direkt mit den Krankenkassen vereinbart werden, möglich.