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Das neue Pflegestärkungsgesetz II ist nun da – aber wo drückt der Schuh jetzt in der Praxis?

Bericht zum Regionaldialog Pflege stärken in Berlin am 09.03.2016 im Rahmen einer zweijährigen Reihe von Fachtagungen

Mit dem Pflegestärkungsgesetz II kommen eine lange Reihe von Verbesserungen ins Pflegesystem in den unterschiedlichsten Bereichen: Pflegegrade, verbesserte Leistungen für Angehörige und Pflegebedürftige, Stärkung von Reha und bessere Bedingungen für Pflegepersonal. Diese großen Veränderungen hin zu gleichberechtigter und individuellerer Pflege finden innerhalb weniger Jahre statt. Diese Veränderungen sollen und können nicht allein stattfinden. Nur mit Pflegebedürftigen, Angehörigen und Pflegefachkräften, Beschäftigten in den Kommunen, Pflegekassen und Anderen in diesem Bereich Tätigen kann die Ausgestaltung passieren. Sie benötigen einerseits weitere Informationen darüber, welche Neuerungen sie betreffen und wie sie gemeint sind. Aber genau Stimmen aus der Praxis sind es, die bei der Ausgestaltung von Details sehen, wo sich noch Konflikte im Gesetz wiederfinden, was gut funktioniert, oder was unbedingt noch beachtet werden sollte.Von daher freue ich mich über den „Regionaldialog – Pflege stärken“ der genau das bietet: ein Forum, wo Tätige im Bereich der Pflege gemeinsam und mit Menschen aus der Politik zusammenkommen über das neue Gesetz diskutieren, sich gegenseitig informieren, Probleme und Nachbesserungsbedarf aufdecken, um dann gewonnene Erfahrungen in ihre Strukturen zu überführen. Dafür wurde nicht nur analog ein Forum eingerichtet, sondern auch digital: Bald wird auch eine Online-Diskussion zu wichtigen Themen stattfinden, wo Informationen ausgetauscht, Probleme aufgeworfen und Fragen geklärt werden können:

Der Regionaldialog in Berlin am 09.03.2016 fand in Form von Diskussionstischen zu folgenden Themen statt: Ambulante Betreuungs- und Entlastungsangebote, ambulante Pflegeangebote,  teilstationäre Angebote, stationäre Angebote, Beratungs- und Pflegelandschaft vor Ort, Begutachtungen. Die Diskussionen waren von folgenden Fragen geleitet sein: Welche Informationen benötigen Sie auf Ihrem Weg zur Umsetzung? Wo können aus Ihrer Sicht Hürden bei der Umsetzung liegen? Was benötigen Sie, um die Umsetzung in Ihrem Alltag zu starten bzw. weiter fortzuführen?

1.       Ambulante Betreuungs- und Entlastungsangebote

Eine zentrale Frage war, inwiefern pflegende Angehörige nach §45b die Entlastungsleistung (Pflegebegleitung) für sich geltend machen können, wenn der Pflegebedürftige Anspruchsberechtigt ist. Das Gesundheitsministerium informierte, dass die Entlastungsleistungen für den Angehörigen sich an dem Anspruch des Pflegebedürftigen orientiert und dann dementsprechend im Einvernehmen mit dem Pflegebedürftigen geklärt werden müssen. Diese „Ermächtigung“, die der Pflegebedürftige für den Angehörigen aussprechen muss, wurde von den Teilnehmenden für den Angehörigen als Konfliktpotential gewertet. Es wurde festgestellt, dass statt Entspannungsangeboten von den Angehörigen auch vor allem Haushaltshilfen gewünscht und in Anspruch genommen werden. In diesem Zusammenhang wurde kritisiert, dass die Landesverordnungen zu den Festsetzungen der Entlasungsangebotsdefinitionen noch nicht vorhanden sind und so potentiell Ansprüche verloren gehen könnten (nur Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg haben dies bereits gemacht). Auch wurde als problematisch betrachtet, dass so keine „Qualitätsstandards“ festgelegt werden können (Stichwort: Negativbeispiel Firma Helpling). Es wurde der Wunsch geäußert, von Bundesebene zumindest hier einheitliche Richtlinien für Qualitätsstandards festzulegen. So wäre auch die Abrechnung von Leistungen klarer geregelt.

Als Hürde zum anderen Thema wurde vor gesehen, dass die Umsetzung der Umwidmung des Sachleistungsbeitrags nach §45 zu komplex und intransparent sei. Hier wird mehr Information benötigt. Vorgeschlagen wurden Arbeitshilfen und „Ausführungserläuterungen“ zu §45, klare Abgrenzung und Anrechenbarkeit von Leistungen SGB XI und XII. Bei der Überführung von PSG I und PSG II wurden außerdem Hilfen du Sicherheit der Weiterführung bestehender Angebote gewünscht. Als drängendstes Problem wurden die fehlenden Landesverordnungen gesehen.

2.       Ambulante Pflege

Als Problem wurde das „Leistungswirrwarr“, mit dem der §45b in der Umsetzung gemeint war, betrachtet. Hier besteht auch Verunsicherung hinsichtlich der Vergütung. Als negativ wurde auch angemerkt, dass Pflegebedürftige „das System“ nicht verstehen, also nicht wissen, welche Leistungen Ihnen zustehen und sie demzufolge nicht in Anspruch nehmen. Es wurde die Frage aufgeworfen, wer die zusätzlichen Betreuungsleistungen erbringen soll angesichts des Personalmangels. Gewünscht wurde außerdem mehr Transparenz seitens der Pflegedienste.

Zur Ausgestaltung und Abrechnung der Leistungen der ambulanten Pflege wurde insgesamt mehr Transparenz zwischen Anbieter und Versicherte gewünscht. Es sollte auch Raum für flexible als auch „phantasievolle“ Umsetzung der Angebote möglich sein. Gewünscht wurde außerdem eine Abrechnung auf Stundenbasis statt nach Leistungskomplexen.

3.       Teilstationäre Pflegeangebote

Hier wurde vor allem bemängelt, dass Menschen schwer über das Angebot von teilstationären Leistungen informiert werden. Sozialdienste bräuchten im Krankenhaus bessere Informationen über das bestehende Angebot. Als Hürde wurde außerdem angemerkt, dass Pflegebedürftige und pflegende Angehörige Tagespflege als zu teuer empfinden (auch schon der Eigenanteil). Impulse wurden dahingehend gegeben, dass das kultursensible Angebot für MigrantInnen noch stärkerer ausgebaut werden sollte, beispielsweise die Mehrsprachigkeit. Gefordert wurden von der Politik gesetzliche Rahmenbedingungen für die Nachtpflege und von den Krankenkassen verständlicheren Informationen.

Als Vorschlag für den empfundenen Mangel an Informationen wurden Flyer zur Tagespflege vorgeschlagen. Außerdem wurde angeregt, zielgruppenspezifische Konzepte zu gestalten (für junge Pflegebedürftige, somatisch erkrankte und demente Menschen).Für die Nachtpflege wurde ein besserer Rahmen zur Finanzierbarkeit gewünscht.

4.       Stationäre Angebote

Es wurden eine Reihe spezifischer Fragen aufgeworfen: Es wurde gefragt, ob für Einrichtungen mit §91 SGB XI auch der einrichtungseinheitliche Eigenanteil gilt. Außerdem wurde gefragt, wie der MDK prüfe, ob neben einer LG-Unterbringung §38a eine teilstationäre Pflege notwendig ist.

Kritisiert wurde im Rahmen der Umstellung auf Pflegegrade, dass erst ab dem Pflegegrad 3 eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung finanziell funktioniere. Sie äußerten auch, dass stationäre Einrichtungen gegenüber den ambulanten Diensten mit dem PSG II benachteiligt seien. Ängste bestehen auch hinsichtlich des Personalverlusts im Zusammenhang mit der Umstellung auf Pflegegrade. Hier wurde darauf gedrängt, sich auf einen bundeseinheitlichen Personalschlüssel zu einigen. Stationäre Einrichtungen betonten, dass die palliative Versorgung wichtiger werden wird und hier mehr informiert werden sollte.

Kritisiert wurde, dass Pflegekassen Bescheide zum Pflegegrad erst zu spät verschicken würden. Zur Umsetzung des PSG II wurde außerdem der Wunsch nach Personalschulung laut, vor allem für das Verständnis vom neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff und was dies für die Pflegedokumentation und die Praxis bedeutet.

Es wurde gefragt und als Wunsch formuliert, inwiefern das BMG Druck auf die Landespflegeersatzkommission machen kann bzgl. der Pauschalerhöhung (Streit um §92 SGB XI)

5.       Beratungs- und Pflegelandschaft vor Ort, Begutachtung

Die Beratungs- und Pflegelandschaft würde theoretisch den Wünschen der anderen Gruppen nach genauerer Information zur Umsetzung des PSG II nachkommen – ihre Informationsdefizite aber auch Erfahrungen in der Vermittlung sind so also von besonderer Bedeutung.

Auch sie wünschten sich „transparentere“ Informationen zu Veränderungen im SGB XI, klarere Ausführungsbestimmungen und frühzeitige Informationen zu Neuerungen und Veränderungen von der Politik, um diese entsprechend zeitnah an ihre MitarbeiterInnen weiterzugeben und „Kunden“ zu informieren. Transparenz wurde auch zur besseren Legitimierung und letztendlich Akzeptanz für Umsetzungsrichtlinien von MDK Begutachtungen gewünscht. Eine konkretere Definition des Personenkreises Pflegegrad I wurde außerdem gewünscht.

Als großes Problem sprachen die Beratungsstellen an, dass unterschiedliche Umsetzungen innerhalb der Pflegekassen bzgl. des SGB §45 (Beispiel Betreuungs- und Entlastungsleistungen) bestehen und diese so schwer verständlich und einheitlich zu vermitteln sind. Generell sei das SGB XI für BürgerInnen schwer verständlich, so die Erfahrung von den BeraterInnen. Auch ist schwer vermittelbar, welche Versorgungs- und Leistungsansprüche bestehen. Es ist ebenfalls ein Problem, dass bundesweit große Unterschiede bei Kosten und Pflegeangeboten bestehen. Unklar war, ob ein Anspruch der Angehörigen auf eigene Beratung besteht.

Generell fühlte man sich noch unzureichend über die Veränderungen informiert, die durch das Gesetz gekommen sind, als sie am 01.08. schon zu vermitteln. Zurzeit führt das dazu, dass Angehörige nicht ausreichend beraten werden können. Bemängelt wurde außerdem, dass Anbieter in den Bereichen Kurzzeitpflege, haushaltsnahe Dienstleistungen, SAPV fehlen. Frau Regina Kraushaar vom BMG sagte jedoch, dass auch die Intention des PSG II war, den Markt für Dienstleistungen niedrigschwelliger Angebote zu fördern und somit auch Qualitätsstandards prüfen und vergleichen zu können. Jedoch sprachen die Beratungsstellen aus Erfahrung und sagten, dass vor allem lieber Familien und Freunde für Entlastungsleistungen eingesetzt werden statt Dienstleistungen und dies schwierig bei den Pflegekassen abzurechnen ist. Gefordert wurde in diesem Zusammenhang eine Orientierung an der Praxis und somit eine Vereinfachung der Zulassungsverfahren für Anbieter nach §45 SGB XI.

Die Beratungsstellen gaben zu bedenken, dass durch die Flexibilität, die durch das PSG II geschaffen wurde, auch die Komplexität der Beratung ansteigt und das dazu führt, dass die Stellen an ihre personellen Grenzen stoßen.

Als großen Verbesserungsbedarf sahen die Beratungsstellen, dass ÄrztInnen ihre PatientInnen kaum an die Beratungsstellen weiterleiten würden, da vor allem ein Informationsdefizit über deren Existenz herrsche. Es würde auch für ÄrztInnen eine Entlastung darstellen, wenn hier weitervermittelt würde. Hier wurde angefragt, ob diese Kommunkationsverbesserung durch Verpflichtung der ÄrztInnen über Informationen zu Beratungsstellen seitens der Politik durchsetzbar ist.

Gewünscht für die bessere Umsetzung ihrer Beratungen wurden Rahmenbedingungen für die Qualitätsstandards für die Beratung selbst. Außerdem wolle man Schulungen für BeraterInnen bzgl. Begutachtungsrichtlinien des MDK. Vom BMG wurden allgemein verständliche Broschüren gefordert, die stückzahlmäßig höher und auch rechtzeitig geliefert werden sollten.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Einige Detailprobleme zu Abrechnungen und Umstellungen vom PSG I zum PSG II konnten schon durch ExpertInnen des Bundesgesundheitsministerium auf dem Fachdialog geklärt werden. Es wurden außerdem einige Bestrebungen, die mit Gesetzesneuerungen eingeführt wurden klarer, wie beispielsweise die Förderung der Schaffung eines Dienstleistungsmarktes für niedrigschwellige Betreuungsangebote. Von diesem Standpunkt aus ist das Format des Fachdialogs wirkungsstark für beide Seiten: AkteurInnen in der Pflege als auch der Politik.

Es lassen sich grundlegende Wünsche und Probleme herauskristallisieren:

Als Problem wurde vor allem von Seiten der Angebotsvermittler als auch Beratungsstellen selbst geäußert, dass ein zu unüberschaubares Leistungs- und Abrechnungswirrwarr für Anbieter und Vermittler selbst als auch für Bedürftige (vor allem auf für die Bedürftigen unverständlich auch zu vermitteln) existiert.

Als wiederkehrendes Problem wurde außerdem die fehlende Konformität zwischen den Ländern gesehen. Hier hat die Bundespolitik gesetzlich wenig Handlungsspielraum, es wurde aber der Wunsch nach einem verstärkten Druckaufbau seitens der Bundespolitik gewnscht, bzw. zumindest die Festsetzung zu Richtlinien für Landesverordnungen.

Zur Begegnung des wahrgenommenen Informationsdefizits seitens der Vermittler als auch Beratungsstellen, wurden Vorschläge nach Flyern und Schulungen laut, vor allem um über Neuerungen für die Betreuungs- und Entlastungsleistungen aufzuzeigen. Aber auch das NBA würde gerne besser verstanden werden von den Beratungsstellen und stationären Einrichtungen, um dies besser vor Bedürftigen und deren Angehörigen zu rechtfertigen.

Es stellt sich noch die Frage, bzw. könnte noch konstruktiver Inhalt zukünftiger Regionaldialoge sein, wer diese Schulungen vornimmt und in welcher Form sich die verschiedenen Stellen dies wünschen oder ob andere Arten der Informationsvermittlung sinnvoller wären. Ich freue mich in jedem Fall auf weitere praktische Verbesserungen, Anschübe und Diskussionen, die durch den Regionaldialog entstehen.