Hauptmenü

3. Deutscher Pflegetag: Pflege als Chance für Integration

Der 3. Deutsche Pflegetag fand vom 10. bis 12. März in der STATION-Berlin statt. Mehrere Tausend ExpertInnen aus der Pflege, der Politik, der Wirtschaft und Zivilgesellschaft nahmen teil und diskutierten eines wichtigsten gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Themen unserer Zeit: die Pflege.

Das Thema Gewinnung von ausbildungswilligen Menschen bzw. Fachkräften aus dem Ausland als auch von in Deutschland lebenden ZuwanderInnen und Geflüchteten wurde sowohl in den Foren, unter den Ausstellern als auch von Seiten der BesucherInnen intensiv diskutiert. Integration braucht berufliche Qualifikation und Erwerb von Sprachkompetenzen. Bei der Podiumsdiskussion mit dem Titel: „Migration als Segen für die Pflege? - Pflege als Mittel zur Integration?” verglichen ExpertInnen ihre Standpunkte und beleuchteten die Rahmenbedingungen, Chancen und Risiken auf politischer -bzw. Verbandsebene. Nicht nur die Pflegeausbildung, sondern auch die gesundheitliche Versorgung der Geflüchteten selbst war ein zentrales Thema - auch hier nehmen Pflegekräfte eine zentrale Rolle ein. Ich wurde nach meiner Einschätzung dazu sowohl beim „Cockpit Pflege“ als auch beim Fachforum für pflegende Angehörige gefragt. Interessant waren auch meine Gespräche mit VertreterInnen von Pflegeausbildungen in Vietnam und Kamerun.

Die Grundhaltung hatte Jürgen Graalmann, Sprecher des Deutschen Pflegetags und Geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsagentur Die BrückenKöpfe GmbH im Vorfeld schon deutlich gemacht: „Die Pflege kann viel zur Integration von Geflüchteten beitragen“.

Die berufliche Integration von Geflüchteten ist keine einfache Lösung für den Fachkräftemangel im Bereich Pflege. Dennoch begreift Jürgen Graalmann die Ankunft vieler Geflüchteter in Deutschland vor allem als eine Chance für die Pflege. Der schon jetzt existierende Fachkräftemangel wird aufgrund des demografischen Wandels und der Überalterung der Gesellschaft gerade hier zu erheblichen Problemen führen. Prognostiziert wird bis 2030 ein zusätzlicher Bedarf von bis zu 500.000 Vollzeitkräften. Wir bräuchten daher sowohl einen besser vernetzten Versorgungsmix aus professioneller und ehrenamtlicher Pflege als auch mehr niedrigschwellige Angebote sowie ein starkes nachbarschaftliches und familiäres Engagement. Die Schaffung neuer Versorgungsstrukturen alleine reiche aber nicht.

Benötigt werden auch Pflegekräfte aus anderen Ländern. Deshalb müssten die ausbildungsbereiten  Menschen für die Pflege bald identifiziert werden. Damit würde gleichermaßen ein Beitrag zur Behebung des Fachkräftemangels als auch einer zur beruflichen und gesellschaftlichen Integration geleistet werden. Obwohl aktuell vielfach noch die Unterbringung in Notunterkünften und die medizinische Versorgung von Geflüchteten im Mittelpunkt steht, müssen zügig Konzeptionen zur Integration der Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und dauerhaft hier bleiben werden, entwickelt werden. Dazu gehören auch gute Ansätze für berufliche Perspektiven in der Pflege, wie sie uns zum Beispiel das berufliche Bildungszentrum Valckenburgschule Ulm mit ihrem Ausbildungsangebot zum Altenpflegehelfer, die Rhein-Mosel-Fachklinik mit ihrem Pilotprojekt „Zukunft durch Integration in der Pflege“ mit pflegeorientierte Intensivsprachkurse oder auch das Kooperationsprojekt zwischen dem Vivantes-Institut für berufliche Bildung im Gesundheitswesen (IbBG) Berlin und dem Zentrum Überleben erfolgreich vormachen.

Von der Politik fordert Graalmann Regelungen zur Bleibeperspektive der Menschen, die sich beruflich integrieren. Wir SozialdemokratInnen haben hier bereits einiges durchgesetzt bzw. haben es in der Pipeline:

  • Auf unseren Druck hin wurde als ein erster Schritt bereits 2014 beschlossen, dass das Arbeitsverbot für Asylsuchende und Personen mit Duldung auf drei Monate herabgesetzt wurde - vormals lag das Arbeitsverbot für diese Gruppen bei 9 bzw. 12 Monaten.
  • Wir machen uns auch stark dafür, dass für die Pflege die Vorrangprüfung, d.h. die Bevorzugung von EU-InländerInnen bei der Arbeitsvermittlung, befristet aufgehoben wird.
  • Nicht schriftlich verankert, aber Bestandteil des Asylbeschleunigungspaketes ist die Regelung, dass Auszubildende, die diesen Gruppen angehören, nach ihrer dreijährigen Ausbildung auf jeden Fall noch ein Aufenthaltsrecht für weitere zwei Jahre in Deutschland haben.
  • Wir kämpfen noch für einen Integrationsförderplan, um geflüchteten Menschen so früh wie möglich auf dem Arbeitsmarkt integrieren. In diesem muss alles zusammenpassen: Sprachkurse, berufliche Bildung, Arbeitsmarktzugang, Wohnen, Werte- und Demokratievermittlung.

PflegeexpertInnen aber auch wir PflegepolitikerInnen wissen, dass nahezu überall in der Welt unser System der Altenhilfe und -pflege unbekannt ist - so auch in Syrien. Daraus resultieren kulturelle Unterschiede, aber deshalb sind nicht alle syrischen Kriegsgeflüchteten ungeeignet. Der Identifizierung der persönlichen Bereitschaft und der grundsätzlichen fachlichen Eignung kommt für eine berufliche Qualifizierung in der Pflege deshalb hier eine besondere Rolle zu. Praktika können hier ein guter Einstieg sein. Unbestritten ist der Erwerb von Sprachkenntnissen, schließlich sind in einem durch persönliche Zuwendung geprägtem Berufsbild wie die Pflege gute Verständigungsmöglichkeiten essentiell. Dennoch stellt sich die Frage, ob alles vorher erfolgreich gelernt werden muss oder ob es auch ausbildungsbegleitend vermittelt werden kann.

Ausbau der kultursensiblen Pflege ist in Deutschland eine drängende Herausforderung

Das sich Institutionen des Gesundheits- und Pflegewesen interkulturell viel stärker interkulturell öffnen müssen, ist mittlerweile keine neue Forderung mehr. Sie wird aber immer drängender: Zunehmend kommen MitbürgerInnen mit Zuwanderungsgeschichte ins Rentenalter und gehören zu den pflegenahen Jahrgängen. Auf die Pflegeeinrichtungen und Pflegedienste und auch auf die Krankenhäuser kommen neue Anforderungen zu, auf die wir gesellschaftlich noch nicht ausreichend vorbereitet sind. Die Kenntnis differenzierter Anforderungen gehört aber zu den fachlichen Standards: zum Beispiel das Wissen, dass das Waschen des Körpers in bestimmten Kulturkreisen nur unter fließendem Wasser möglich ist. Es ist sehr zu begrüßen, dass es vereinzelt beispielsweise deutsch-türkische Dienste gibt, die sich auf diese Herausforderungen eingestellt haben. Aber nicht immer ist es regional möglich, solche mehrsprachigen Dienste aufzubauen. Im Rahmen einer kultursensiblen und bedürfnisorientierten Pflege muss sich diese darauf und auf eine interkulturelle Verständigung noch besser aufstellen.

Unkenntnis und Vorurteile auf Seiten der Pflegebedürftigen

Die Stärkung der Buntheit auf Seiten der Pflegekräfte ist die eine Seite. Der Abbau von Vorbehalten, Vorurteilen bis hin zum Rassismus auf Seiten der pflegebedürftigen Menschen und ggf. auch auf der kollegialen Ebene ist eine Verantwortung, der sich die meisten Einrichtungen des Gesundheitswesen und der Pflegebranche noch zu stellen haben.

Den Teilnehmerinnen einer politischen Tagesfahrt berichtete ich vom Deutschen Pflegetag und insbesondere auch von den Bemühungen Geflüchtete als potentielle Pflegefachkräfte zu gewinnen. Doch die Vorstellung, von Pflegefachkräften gepflegt zu werden, die dem islamischen Glauben angehören, löste bei einigen Frauen ein großes Befremden aus.

Der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR)

Eine nicht diskutierte, meines Erachtens aber auch in der Pflege bedeutsame Fragestellung, ist die Anerkennung nicht-formaler und informell erworbener Kompetenzen. Nur ein solcher Ansatz ist Lebensverlauf-orientiert und eröffnet insbesondere Frauen und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte aufgrund ihrer öfter unterbrochenen Ausbildungs- und Erwerbsbiografien Chancen, ihre vielfältigen Kompetenzen nachzuweisen. 2018 soll im europäischen Kontext ein Validierungskonzept vorgelegt werden. Soweit ich es weiß, sind die damit verbundenen insbesondere bildungspolitischen Herausforderungen aber kein Thema im politischen Feld.

Uta Denzin-von Broich-Oppert hat im Februar 2016 das Positionspapier „Der deutsche Qualifikationsrahmen - ein Weg, um Leistungen und Kompetenzen von Frauen fair und gerecht anzuerkennen?“ vorgelegt. Dieses Papier ist eine Fortsetzung der im Rahmen der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin - Stadt der Frauen e.V. unternommenen Anstrengungen, Frauen und da vor allem Migrantinnen an mehr Chancengleichheit durch die erhoffte Weiterentwicklung des Bildungssystems in Richtung Durchlässigkeit und Lernort-Unabhängigkeit teilhaben zu lassen.

Für die vielen, sehr komplexen Fragestellungen im Gesundheitswesen und der Pflegebranche gibt es keine einfachen Antworten. Dennoch gilt: Packen wir die Herausforderungen an. Die Suche nach Lösungen geschieht in unser aller Interesse.