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SPD: Mut für ein besseres Europa

Das Solidarprojekt Europa ist eine der zentralen politischen Herausforderungen. Dies hatte die SPD schon vor dem Ja der Briten zum EU-Austritt erkannt und daher auf ihrer „Wertekonferenz Gerechtigkeit“ eine breitumfassende Perspektivdebatte für die Bundestagswahl 2017 eingeleitet.

Der sozialdemokratische Neustart für Europa war zentrales Thema der Programmkonferenz Europa am 2. Juli 2016 auf dem EUREF-Campus in Berlin-Schöneberg. Ein Fazit der aus der ganzen Bundesrepublik angereisten SozialdemokratInnen: Die Europäische Union (EU) müsse in vielen Bereichen sozialer und gerechter werden. Außerdem gelte es die Beteiligung der BürgerInnen zu stärken. Dass die EU-Kommission das Handelsabkommens CETA ohne die Mitwirkung der nationalen Parlamente ratifizieren wolle, wird von vielen als Zerstörung des Vertrauens in die europäische Demokratie betrachtet.Bereits in Ihrem Positionspapier „Europa neu gründen“ hatten Sigmar Gabriel und Martin Schulz nach der Brexit-Entscheidung der BritInnen am 23. Juni 2016 die Krise der EU analysiert und einen Zehn-Punkte-Plan vorgelegt, in dem sie festhielten: "Die Überzeugung, dass Europa für alle ein Gewinn ist, kann nur dann wieder stark werden, wenn wir endlich einen Ausweg aus der ökonomischen Krise finden. Deshalb gilt: Vorrang muss jetzt ein neuer wirtschaftlicher Aufschwung in Europa haben!". Europa brauche "eine gemeinschaftliche Wachstumsoffensive - ein "ökonomisches Schengen", brauche ein besseres Europa. Die Zukunft der Union solle nicht allein auf Brüsseler Gipfeln entschieden werden. Im Zentrum Europas müsse das Handeln für die Menschen stehen - und nicht die Bürokratie. Dringlich bekämpft werden müsse die Arbeitslosigkeit in Europa und in den Ausbau der Infrastruktur müsse mehr investiert werden. Europa müsse wieder nach vorne gebracht werden, für parteipolitisches Kleinklein fehle einfach die Zeit.

Programmkonferenz Europa

Zur Diskussion steht das europapolitische Programm der Partei. Dass der Brexit eintreten würde, konnte bei der Planung der Programmkonferenz Europa niemand ahnen. So war der Schock nach dem Brexit-Votum der BritInnen auf der Konferenz zwar spürbar, deutlicher wahrnehmbar aber auch der kämpferische Wille zu einem „Neustart“ für Europa, für ein sozialeres und gerechteres Europa.

Sigmar Gabriel: Zukunft Europa: Das europäische Projekt in stürmischen Zeiten - sozialdemokratische Perspektiven für einen Neustart

In seiner Rede kritisierte Sigmar Gabriel die britischen Konservativen scharf. Mit ihrem Glauben, die EU verlassen und gleichzeitig die größten Vorteile behalten zu können, lägen sie falsch. Die Konservativen müssten in ihrer Parteienfamilie europaweit erst mal aufräumen. Die Brexit-Entscheidung sei vor allem von älteren WählerInnen in England und Wales gefällt worden. Klüger als die politische Elite sei die Jugend in Großbritannien, die zu 75 Prozent die Remain-Kampagne, also den Verbleib in der EU, gewählt haben. Zu den jungen BritInnen dürfe der Kontakt nicht abreißen. In anderen EU-Ländern lebenden jungen Briten solle mit einer doppelten Staatsbürgerschaft die Möglichkeit gegeben werden, EU-BürgerIn zu bleiben.

Gabriel ging beim Umgang mit der Entscheidung der britischen Bevölkerung deutlich auf Distanz zur Union und zu Kanzlerin Merkel. Ein entschiedener Umgang mit der britischen Regierung müsse verhindern, dass es Nachahmer in der EU geben werde. "Das Ergebnis des Referendums ist eindeutig und darum muss es auch vollzogen werden." Es sei eine "Entgiftung" der EU von nationalistischen Blickweisen nötig. Er mahnte Klarheit und Eindeutigkeit an, warnte davor, mit den BritInnen gleichzeitig über den EU-Austritt und neue Beziehungen zur EU zu verhandeln. Alles andere wäre "eine Einladung an alle nationalen Egoisten, es genauso zu versuchen".

Der SPD-Parteivorsitzende grenzte sich auch von der Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach einer „marktkonformen Demokratie“ in Europa ab: „Wir müssen einen demokratiekonformen Markt schaffen, keine marktkonforme Demokratie.“ Die EU dürfe bei den Märkten nicht länger nur auf den Wettbewerb achten, sie müsse auch für soziale Sicherheit sorgen.

Gabriel warb unter starkem Applaus für Europa. „Europa ist der beste Platz der Welt für Freiheit, für Demokratie, für die Chance zu sozialem Fortschritt.“ In keiner Region der Welt könne man so frei leben. „Dieses große Zivilisationsprojekt wollen wir unseren Kindern vererben.“ Das werde aber nur gelingen, wenn Europa seine drei Versprechen auf Demokratie, Frieden und Wohlstand für alle auch einhalte. Die europäischen Werte müssen wieder stärker nach vorne gestellt werden. Europa dürfe nicht zerfallen. Das Vertrauen der Menschen müsse zurückerobert werden. Es gehe um Frieden, Wohlstand für alle und Demokratie.

Gabriel forderte „ein europäisches Investitionsprogramm“. Europa habe „viel getan für die Finanzmärkte, aber wenig für seine 25 Millionen Arbeitslosen“, kritisierte er. Der Binnenmarkt sei wichtig, aber er müsse „auch die Menschen schützen“. Wettbewerb dürfe „nicht dazu führen, dass immer mehr Menschen ihre Jobs verlieren“. „Das Wichtigste ist, dass wir aus dem Stabilitäts- und Wachstumspakt endlich auch einen Wachstumspakt machen.“. Es gehe darum, die Märkte in Europa so zu organisieren, "dass sie nicht nur Wettbewerb schaffen, sondern auch soziale Sicherheit". Gabriel forderte einen entschlosseneren Kampf gegen die Arbeitslosigkeit von 25 Millionen Menschen. Der Wettbewerb in Europa dürfe keiner um die schlechtesten Löhne oder die niedrigsten Steuersätze sein, dürfe nicht zur Arbeitslosigkeit führen. Er forderte erneut mehr Investitionen der EU in Arbeit, Forschung und Bildung. Er machte sich auch für einen Umbau der EU, sprich eine kleinere EU-Kommission stark.

Kritisch äußerte sich Gabriel zur rigorosen Sparpolitik. Eine Spaltung Europas in wohlhabende Länder wie Deutschland und jene Länder vor allem in Südeuropa, die nicht aus der Finanz- und Staatsschuldenkrise von 2009 herauskämen, dürften wir nicht weiter zulassen. Wer unter der sozialen Krise leide, habe Wut auf die Länder im Norden. Wem es gut gehe, bei dem steige die Wut über die südlichen Schuldenstaaten. „Wir müssen Europa entgiften“, mahnte Gabriel.

Martin Schulz: Warnung vor den RechtspopulistInnen

Martin Schulz, MdEP, Präsident des Europäischen Parlaments und Mitglied des SPD-Präsidiums erinnerte in seiner Rede an das „Friedensprojekt Europa“: Wer die Axt an die EU anlege, setze Dämonen wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus frei. Diese hätten Europa schon einmal zerstört. Er warnte vor den Gefahren des Rechtspopulismus für die Demokratie und für Europa. Die RechtspopulistInnen stellten die Würde aller Menschen in Frage. Sie sind „der Hauptgegner“ der SPD. Der Angriff der Rechten auf Europa sei ein Angriff auf die Sozialdemokratie, denn Europa sei eine sozialdemokratische Idee. Die „Dämonen des 20. Jahrhunderts“ Hass, Dummheit und Rassismus seien lebendig. Die EU sei bisher das erfolgreiche Instrument gewesen, diese Dämonen zu bannen. „Zerschlagen wir dieses Instrument, dann kehren die Dämonen zurück“, warnte der EU-Parlamentspräsident.

Auch Schulz plädierte für mehr Steuergerechtigkeit. Er forderte verbindliche Mindeststeuersätze in Europa und dass die Unternehmen ihre Gewinne in dem europäischen Land versteuern sollen, in dem sie erwirtschaftet worden sind.

Die Vorsitzende der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, ergänzte, dass die Freiheit in der EU vielleicht doch zu sehr als Freiheit des Kapitals betrachtet worden sei.

Frank-Walter Steinmeier: Deutschlands schwierige Rolle in der EU

Die Europäische Union sei viel besser als ihr Ruf, erwähnte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Deutschland müsse jetzt nach der Brexit-Entscheidung, die auch ihn überrascht habe, sehr sensibel vorgehen: die einen verlangten eine deutsche Führungsrolle bei der Überwindung der Krise, bei anderen stieße genau eine noch größere deutsche Dominanz in Europa auf Kritik. „Eine deutsche Führungsrolle wird zwar immer gewünscht, sie würde aber nie akzeptiert werden“, beschrieb Steinmeier das Dilemma.

Die EuropäerInnen müssten sich bei ihren internen Debatten klarmachen, wie wichtig der Erfolg und der Zusammenhalt der EU für andere Regionen wie Nordafrika oder den Kaukasus seien. Bei seiner letzten Reise nach Armenien, Aserbaidschan und Georgien habe er erfahren, wie sehr sich diese Staaten Europa „als Gegengewicht gegen andere Kräfte“ - gemeint war Russland - wünschen.

Auch Steinmeier äußerte sich skeptisch zur Möglichkeit eines Exits vom Brexit. Wenn wir uns an den Fakten orientieren, dann müssen wir ernst nehmen, dass es bei dem Brexit bleibt.

Selbstkritisch konstatierte Axel Schäfer, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, dass den Hasstiraden gegen die EU nicht entschieden genug entgegengetreten sei. Schließlich seien während der Brexit-Debatte viele Unwahrheiten über die EU verbreitet worden.

Vier Workshops: Programmatische Perspektiven auf Europa

Die Diskussion um die Zukunft Europas ist eröffnet. Wir SozialdemokratInnen werden für unsere Ideen und Werte streiten und so die Debatte vorantreiben. „Wir brauchen einen sozialdemokratischen Aufbruch - darum geht es.“ Die über 600 Anwesenden hatten in vier parallelen Workshops Gelegenheit, ihre Vorstellung rund um die europäischen Herausforderungen einbringen:

  • Workshop 1: „Fluchtpunkt Europa / Arbeitsmarkt Europa – Zwischen humanitärer Verantwortung und Fachkräftesicherung“
  • Workshop 2: „Sozial gerecht und ökonomisch sinnvoll – Unser Weg zur Klimaneutralität“
  • Workshop 3: „Unsere Verantwortung für Europa und die Welt“
  • Workshop 4: „Der Brexit und seine Folgen“

Geflüchtetenpolitik zwischen Humanität und Fachkräftesicherung

Ich habe am Workshop 1 teilgenommen, der unter Leitung von Bundesjustiz- und Verbraucherschutzminister Heiko Maas stattfand. Debattiert wurden Zusammenhänge zwischen der Situation der Geflüchteten und der Arbeitsmarktpolitik in Europa. Als externe ExpertInnen standen uns Prof. Dr. Petra Bendel, Zentralinstitut für Regionenforschung, Universität Erlangen-Nürnberg, Dr. Steffen Angenendt, Stiftung Wissenschaft und Politik, zur Verfügung, des weiteren Dr. Karamba Diaby, MdB, Leiter der Projektgruppe Neues Miteinander der SPD-Bundestagsfraktion, Birgit Sippel, MdEP, Sprecherin der S & D-Fraktion im Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) und Norbert Spinrath, MdB, europapolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion.

Zentrale Themen waren unter anderem Tops, die auch im Rahmen der parlamentarischen Debatte zum Integrationsgesetz eine Rolle spielen wie die Ausweitung der Integrationskurse, der Ausbau von Maßnahmen für mehr Schutz für Frauen und Minderjährige in Flüchtlingsunterkünften. Die erste Lesung zum Integrationsgesetz fand am 3. Juni statt und ist - bei allen notwendigen und auch kontroversen parlamentarischen Debatten - ein historischer Schritt.

Neben der Benennung zahlreicher zu verbessernder Einzelthemen hat mich das starke Plädoyer für eine inklusive Gesellschaft sehr beeindruckt. Der Zusammenhalt für alle - Ansässige als auch Geflüchtete - steht im Mittelpunkt - und das ist gut so.  

Michael Müller: Freiheit, Weltoffenheit und Toleranz

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) brachte die Perspektive der Hauptstadt in die Diskussion ein. „Freiheit, Weltoffenheit und Toleranz“ sei für Berlin ebenso entscheidend wie für Deutschland und Europa. Es seien vor allem die SozialdemokratInnen, die darum den Kampf gegen rechtspopulistischen Hass entschieden führen müssten. Er dankte auch den vielen, die sich aktiv einbringen, um tatsächlich etwas zu verändern. Damit treten sie ein für soziale Gerechtigkeit und Chancengleichheit, aber auch Toleranz und Weltoffenheit. Werte, die auch Werte der SPD sind.