Tagung des parlamentarischen Netzwerks „Frauen frei von Gewalt“ des Europarats am 13. Mai 2016 in Berlin
Wie kann sexuelle und häusliche Gewalt verhindert werden? Wie können Opfer davor wirksam geschützt werden? Wie kann die Gesellschaft, wie können Opfer sexueller und häuslicher mit dafür Sorge tragen, dass Täter auch tatsächlich bestraft werden? Hochaktuelle Fragen, die uns alle beschäftigen - gerade in Zeiten der Novellierung des Sexualstrafrechts.
Deutschland hat das völkerrechtlich bindende „Übereinkommens des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“, kurz Istanbul-Konvention, zwar bereits 2011 unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert. Damit dieser Prozess beschleunigt wird, habe ich zum 12. Mai 2016 Delegierte des Europarats zu einer gemeinsamen Konferenz des parlamentarischen Netzwerks „Frauen frei von Gewalt“ und des Ausschusses für Gleichstellung und Nicht-Diskriminierung nach Berlin in den Deutschen Bundestag eingeladen. Am ersten Tag der Sitzung sprachen wir ausführlich über die Verwirklichung der Istanbul-Konvention im politischen-rechtlichen Bereich und Best-Practise-Beispielen zur Gleichstellung von Frauen und Männern.
Um meinen internationalen KollegInnen die Gelegenheit zu geben, auch Berliner Projekte kennenzulernen, habe ich für den 13. Mai den Besuch in zwei Einrichtungen organisiert. Beide stehen an unterschiedlichen Stellen der Hilfs- und Beratungsangebote für gewaltbetroffene Menschen. Beide verfolgen das Ziel, den Opfern psychische, gesundheitliche aber auch rechtliche Beratung und Unterstützung zu geben. Wir besuchten
In beiden Einrichtungen fanden intensive Diskussionen zwischen den Mitarbeiterinnen und Leiterinnen und meinen parlamentarischen KollegInnen statt. Für diesen Austausch danke ich allen recht herzlich.
LARA - Krisen- und Beratungszentrum für vergewaltigte und sexuell belästigte Frauen: „Wir müssen Frauen die Kontrolle zurückgeben.“
Jede 7. Frau in Deutschland erlebt laut einer Studie der Organisation Frauen gegen Gewalt e.V. schwere sexualisierte Gewalt. Die erschreckenden Gewaltauswirkungen wurden uns beim Besuch vom LARA - Krisen- und Beratungszentrum vor Augen geführt. Seit 20 Jahren ist LARA als erster „emergency room“ für Frauen mit sexuellen Gewalterfahrungen und Belästigung, die vor allem auch im häuslichen Umfeld stattfinden, aktiv. Frauen ab dem Alter von 14 Jahren können sich auf verschiedene Weise an LARA wenden – anhand der direkten Kontaktaufnahme oder auch anonym über Telefon. Viele Frauen wählen als erste Kontaktaufnahme den anonymen telefonischen Weg – häufig auch, weil die sexuelle Gewalttat im häuslichen Umfeld stattfand und viele darum Folgetaten befürchten. LARA unterstützt Frauen auf vielfältige Weise: neben der psychischen Beratung, die meist im Rahmen von Stabilisierungskursen stattfinden, treten sie zudem unterstützend bei der Begleitung zu Behörden wie Polizei und Gerichten auf, bieten oder vermitteln weiter an rechtliche Beratung und bilden Professionelle aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, wie Schulen, Unternehmen, Altersheimen und Behinderteneinrichtungen aus, um sie für Folgen von sexualisierter Gewalt zu sensibilisieren.
Das Hauptanliegen beschreiben die ausschließlich weiblichen Mitarbeiterinnen wie folgt: „Wir wollen Frauen in erster Linie die Kontrolle zurückgeben.“. Diese werde Frauen bei sexuellen Gewaltübergriffen genommen. Ein typischer Ablauf der Verarbeitung, so die Mitarbeiterinnen, geht von wechselhaften extremen Krisenzuständen wie Todesangst, Sinnlosigkeit, Wut, Ekel hin zu einer Taubheit. Eine Behandlung braucht Zeit - die Frauen zweifeln sehr „an ihrer Normalität“. Gerade in dieser Phase ist Unterstützung und Aufklärung über die Ursachen und Wirkungen auf ihren Gemütszustand von hoher Bedeutung. Ich fühle „normal“. Ich verhalte mich „normal“. Ich bin „normal“.
Kontrolle möchte LARA den Frauen in dem Sinne zurückgeben, indem ihnen die Möglichkeiten aufzeigt werden, die ihnen rechtlich zur Verfügung stehen. Dies ist bei sexueller Gewalt im familiären Umfeld besonders wichtig: Viele Opferbefürchten die Familienstruktur zu zerstören und fühlen sich häufig machtlos. Zu wissen, welche Schritte gegangen werden können, um sich rechtlich Gehör zu verschaffen und in einer Situation der Krise nicht allein zu sein, sei dabei entscheidend. Leider finden sich viel zu viele Frauen in der existierenden Beratungs- und Unterstützungslandschaft zurecht. Dies gelte vor allem für Migrantinnen. In ihren jeweiligen ehemaligen Heimatländern existieren häufig Beratungsstrukturen wie in Deutschland nicht. Der Hinweis auf sensible institutionelle Stellen, wie zum Beispiel die Polizei, ist der nächste wichtige Schritt.
Gewaltschutzambulanz der Charité Berlin – kostenlose Untersuchungen bieten Sicherheit
Um eine Straftat gegen das sexuelle Selbstbestimmungsrecht auch erfolgreich vor Gericht bringen zu können, braucht es Beweise. Hierzu können die MitarbeiterInnen der Gewaltschutzambulanz - Rechtsmedizinische Untersuchungsstelle für Berlin an der Charité - Universitätsmedizin Berlin verhelfen. Sie bieten an:
- „Wir erstellen eine für Sie kostenlose rechtsmedizinische Dokumentation Ihrer Verletzungen. Diese ist gerichtsfest, falls Sie sich später für ein Strafverfahren entscheiden.
- Alles geschieht in Absprache mit Ihnen und mit Ihrem ausdrücklichen Einverständnis. Hierfür nehmen wir uns in einer geschützten Atmosphäre Zeit und Ruhe für Sie.
- Wir unterliegen der Schweigepflicht auch gegenüber der Polizei und den Gerichten.
- Wir müssen vor der Untersuchung Ihre Personaldaten prüfen. Bitte bringen Sie dazu Ihren Personalausweis /Pass oder ein anderes Ausweisdokument mit einem Foto mit.
- Wenn Sie es wünschen, kann eine weiterführende Beratung bei uns oder eine Weiterleitung zu anderen Einrichtungen organisiert werden.
- Informieren Sie uns bei der Terminabsprache, wenn Sie einen Gebärden- oder Sprachdolmetscher benötigen“.
Die erst seit 2014 existierende Einrichtung kann ihre wichtige Arbeit dank der Unterstützung einiger Berliner Senatsverwaltungen sogar ambulant in Frauenhäusern ausüben. Die rechtsmedizinische Dokumentation der Verletzungen gibt den Opfern Sicherheit in dem oft langwierigen Prozess. Die Dokumentation fungiert in Strafgerichtsverfahren als wichtiges Beweismittel. Neben Untersuchungen von Verletzungen häuslicher Gewalt werden auch die sexuellen Gewalteinwirkungen aufgenommen. Die MitarbeiterInnen der Gewaltschutzambulanz nehmen nicht nur die Untersuchung vor, sondern führen auch ein ausführliches Beratungsgespräch führt und informieren über weitere Beratungsstellen und Kontaktmöglichkeiten. Die Dokumentation verschafft den Opfern Kontrolle und Zeit. Sie können sich in Ruhe Gedanken darüber machen, wie sie in ihrer Situation rechtlich weiter verfahren können und wollen. Seit 2014 haben sich bereits über 1.000 Betroffene an die Einrichtung gewandt. Dabei stammen die meisten Verletzungen bei Frauen und Kindern von häuslicher Gewalt.
Vor allem die sehr gute Kooperation mit weiteren Einrichtungen ist ein essentieller Bestandteil bei der wirksamen Unterstützung. Auch die MitarbeiterInnen der Gewaltschutzambulanz betonen, dass sie Frauen die Kontrolle zurückgegeben möchten. Werden an Kindern und Jugendlichen durch häusliche oder sexuelle Gewalt verursachte Verletzungen dokumentiert, wird das Jugendamt umgehend informiert.
Die Gewaltschutzambulanz arbeitet eng mit der Opferhilfe Berlin e.V. zusammen. Diese ist seit 1986 vor allem im Bereich der ZeugInnenbetreuung und Begleitung bei Gerichtsterminen aktiv und fungiert als Anlauf- und Beratungsstelle nach Gewalttaten. Für viele stellt der meist unbekannte rechtliche Weg der Anzeige und der Weg zum Gericht gerade angesichts der Krisensituation, in der sie sich nach der Gewalttat befinden, ein unüberwindbares Hindernis dar. Auch die Opferhilfe beschreibt, dass viele Betroffene wenig Bescheid wissen über die rechtliche Situation. Hinzu kommen zumeist schwer verständliche Schreiben von der Staatsanwaltschaft. Dass die ZeugInnen eine Prozessbegleitung erhalten, die ihnen seitens des Gerichtes zur Verfügung gestellt wird, erhöht das subjektive Sicherheitsgefühl.
Auf die Kooperation kommt es an
All diese wichtigen Einrichtungen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der sexuellen Gewalt sind auch deswegen so wirksam, weil sie in einem Kooperationsnetz arbeiten. Die Kooperation und Weitervermittlung an weitere Beratungsstellen ermöglicht eine individuelle und zielgerichtete Hilfe für jedes der Opfer, zumeist Frauen und Kinder. Das Gefühl der eigenen Kontrolle über ihre Situation ist ein Hauptanliegen aller drei Einrichtungen. Betroffene stehen so den Folgen der erlittenen Gewalterfahrung nicht mehr machtlos gegenüber. Einrichtungen wie diese weisen die in der Istanbul-Konvention geforderten Schutzmaßnahmen und Kooperationsstrukturen auf. Wir müssen diese Strukturen noch ausbauen.