Hauptmenü

Was wird getan für mehr Teilhabe, damit es für die ältere Generation nicht heißt „Arm-alt-krank, aussortiert“?

Diskussionsrunde mit Gerontopsychiatrischen - Geriatrischen Verbünden in Tempelhof-Schöneberg im Nachbarschaftshaus Friedenau am 29. Juni 2016

Hochaltrige sieht mensch kaum auf der Straße. Mit geringem Einkommen wird es im wohnungsarmen Berlin immer schwieriger, einen bezahlbaren Ort zum Leben zu finden. Altersarmut ist ein belastender Faktor, der bei vielen Menschen den Alltag bestimmt, sie häufig auch von sozialer Teilhabe ausschließt. Die Vielfalt der Herausforderungen zeigt: Teilhabe betrifft nicht nur Pflege, sondern auch Mobilität, Wohnen, finanzielle Versorgung im Alter und vieles mehr. Und: Diese gesellschaftspolitischen Herausforderungen werden in Zukunft immer drängender. Mit der Zukunft im heutigen Blick müssen wir gerechte Teilhabe für alle angehen.

Alt-arm-krank, aussortiert? Gesundheits- und Sozialpolitik für die ältere Generation

Unter dem Thema „Alt-arm-krank, aussortiert? Gesundheits- und Sozialpolitik für die ältere Generation“  fand am 29. Juni 2016 im Nachbarschaftshaus Friedenau eine Diskussionsrunde statt. Eingeladen waren die Verbundpartner der Gerontopsychiatrischen - Geriatrischen Verbünde im Berliner Bezirk Tempelhof-Schöneberg und die Öffentlichkeit, sowie VertreterInnen von Parteien. Teilgenommen haben die Mitglieder der BVV-Tempelhof-Schöneberg Guido Pschollkowski, CDU, Elisabeth Wissel, Die Linke, und Ute Laack, Die Piraten, sowie die Bezirksstadträtin Dr. Sibyll Klotz, Bündnis 90/ Die Grünen, Erika Christian von der SeniorInnenvertretung Tempelhof-Schöneberg und meine Person als Bundestagsabgeordnete für meinen Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg von der SPD Fraktion im Deutschen Bundestag. Die Einführung und Moderation erfolgte durch Ariane Rausch vom Pflegestützpunkt Tempelhof-Schöneberg.

Ariane Rausch vom Pflegestützpunkt Tempelhof-Schöneberg stellte die Aktualität von Teilhabe für den Bezirk heraus und begrüßte die zahlreich erschienenen VertreterInnen der bezirklichen Gerontopsychiatrischen - Geriatrischen Verbünde. Sowohl bei den Stellungnahmen als auch später in der Diskussion wurde die Fülle der Herausforderungen für eine gelingende Teilhabe deutlich: Mobilität, Wohnen, Leben, Altersarmut, Ressourcen für die Pflege - all diese Aspekte sind Puzzelteile, die eine selbstbestimmte Teilhabe erst ermöglichen. Ich habe mich über das aktive Fordern und Einmischen der SeniorInnenvertretung Tempelhof-Schöneberg sehr gefreut. Nach eigener Aussage hat dieses Gremium eine Stimme „die zwar kein Stimmrecht hat, aber trotzdem gehört wird“. Die Selbstvertretung von Interessen von SeniorInnen für SeniorInnen ist Voraussetzung für eine tatsächlich selbstbestimmte Teilhabe im Alter.

Die Gerontopsychiatrischen - Geriatrischen Verbünde in Tempelhof-Schöneberg

Wer sind die Gerontopsychiatrischen - Geriatrischen Verbünde in Tempelhof-Schöneberg und was ist ihre Aufgabe? In den Zusammenschlüssen in Tempelhof beziehungsweise in Schöneberg sind Einrichtungen organisiert, die in der Versorgung und Beratung insbesondere älterer Menschen tätig sind. Dazu zählen beispielsweise Pflegestützpunkte, ambulante Pflegedienste, Sozialstationen, Tagesstätten, vollstationäre Einrichtungen, Kliniken und andere Beratungs- und Begegnungsstellen. Sie stellen damit erste AnsprechpartnerInnen dar, wenn es um die Gewährleistung der verschiedenen Teilhabe-Anliegen geht. Ihr Dienst und ihre Wahrnehmung als Schnittstelle zur Politik schafft die Kommunikation, die gesellschaftliche und soziale Teilhabe vorantreiben kann, so Ariane Rausch. 

„Wir können die Realität nicht mehr wegschieben - viele von uns werden pflegebedürftig“

Zur Ausübung von Teilhabe spielt Gesundheit eine entscheidende Rolle. Pflegebedürftigkeit im Alter wird zukünftig für unsere ganze Gesellschaft drängender: Im Jahr 2014 lag die Zahl der Pflegebedürftigen noch bei 2.63 Mio. Menschen. 2050 wird mit 4.4 Mio. gerechnet - das sind fast 2 Mio. mehr Menschen. Um die Pflege für all diese Menschen in qualitativ hochwertiger Weise zu gewährleisten, muss auch die Zahl des Pflegepersonals erheblich ansteigen. Bereits jetzt ist der Pflegepersonalmangel ein Vorbote, der viele Organisationen stark beschäftigt - so auch spürbar bei Fragen aus dem Publikum. Hier hakte ich als Pflegepolitikerin ein, da ich auch als SPD-Bundespolitikerin diese Herausforderung sehr ernst nehme und für eine Verbesserung und eine Attraktivitätssteigerung arbeite - und zwar mit einem Blick, der Teilhabe mit einbezieht: Die Lebensstile auch der Pflegebedürftigen werden immer vielfältiger - darauf muss die Pflege Bezug nehmen.

Zur Reform der Pflege gehören viele gesetzliche Baustellen

Es muss eine Modernisierung des Pflegeberufes erfolgen, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden. Zum geplanten Pflegeberufereformgesetz habe ich bereits mehrere Fraktion vor Ort-Veranstaltungen gestaltet organisiert. Wir brauchen mehr Durchlässigkeit für Auszubildende und Beschäftigte in der Branche. Daher will ich eine generalistische Ausbildung einführen und auch akademische Strukturen für die Pflege stärken.

Ich stellte auch dar, dass die Neuerungen in den Pflegestärkungsgesetzen (PSG) I und II auch vom Gedanken der Teilhabe geleitet waren: So wurden mit dem PSG I erhebliche Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen eingeführt. Mit dem Pflegestärkungsgesetz II wird zum 1.1.2017 ein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff festgelegt, was zu mehr Gerechtigkeit führen wird. So bekommen endlich auch pflegebedürftige Menschen mit psychischen als auch kognitiven Beeinträchtigungen gleichberechtigt die für sie relevanten Leistungen. Auch der am 24. Juni 2016 im Kabinett beschlossene und noch nicht im Parlament diskutierte Entwurf eines Pflegestärkungsgesetz III spielte im Rahmen der Diskussion eine große Rolle. Wir SozialdemokratInnen wollen die kommunale Pflegeinfrastruktur stärken. Was heißt das konkret? Im Zusammenwirken von Bund, Ländern, Kommunen, Pflegekassen und Pflegeeinrichtungsdiensten soll eine umfassende und zielgerichtete Versorgung pflegebedürftiger Menschen sichergestellt werden. Dieses Zusammenwirken der Akteure ist für eine wohnortnahe Versorgung auf kommunaler Ebene entscheidend.

Der kürzlich im März 2016 erschienene Gesundheits- und Sozialbericht für Tempelhof-Schöneberg stellt richtigerweise sehr deutlich heraus: Lebenserwartung und Lebensqualität liegt nicht allein in der Verantwortung des Gesundheitssektors. Gesundheitliche, soziale und ökonomische Aspekte spielen gleichermaßen eine gewichtige Rolle.

„Kein Stimmrecht, aber unsere Stimme wird gehört“

Für das bedarfsgerechte Zusammenwirken braucht es deutliche Stimmen auch der SeniorInnen und pflegebedürftigen Menschen selbst. Ich habe mich sehr über die lebendige bezirkliche SeniorInnenarbeit gefreut, die aus Erika Christian’s Schilderungen deutlich wurde. Als VertreterIn der Seniorenvertretung Tempelhof-Schöneberg betonte sie, dass dieses Gremium zwar „kein Stimmrecht“ habe, aber ihre „Stimme trotzdem gehört wird“ und in die Entscheidungen auf lokaler Ebene einfließen. Berlin war 2006 das erste Bundesland, das diese Mitbestimmung mit dem SeniorInnenmitwirkungsgesetz rechtlich manifestierte. Nach nun 10 Jahren Arbeit sind Erfolge zu verzeichnen. Teilhabe auch am politischen Leben ist enorm wichtig und stärkt die Präsenz jeder gesellschaftlichen Gruppe im politisch-gesetzgeberischen Diskurs.

Aus dem Pool der Teilhabe: Mobilität und Wohnen

Die soziale Lage und die jeweiligen Wohnverhältnisse zählen zu den wichtigsten Einflussfaktoren von Gesundheit. Auch dafür müssen gute Rahmenbedingungen geschaffen werden. Frau Dr. Klotz verwies auf den Bedarf von viel mehr kleinen Wohnungen im Innenstadtraum. Unter älteren Menschen steige auch die Lust auf Wohngemeinschaften - auch dafür muss Wohnraum zur Verfügung stehen. Die darauffolgende hitzige Diskussion um verschiedene Lebens- und Wohnformen zeigte: ältere Menschen sind keine homogene Gruppe. Sondern jeder und jede hat individuelle Bedürfnisse - auch was die Wohnform anbelangt. Diese Wünsche sollten bei großen Bauvorhaben beachtet werden.

Im Februar 2016 wurde in Berlin die Bauordnung für Berlin geändert. Im Zuge von Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung finden sich auch Verbesserungen zur Barrierefreiheit bei Neubauten, so für WCs und auch Aufzüge. In Berlin sollte der Blick aber auch über die Möglichkeiten des Neubaus hinausgehen. Zum Thema Mieten und die Potentiale des genossenschaftlichen Wohnens habe ich im Rahmen einer Fraktion vor Ort-Veranstaltung diskutiert.

Viele der von Erika Christian im Namen der SeniorInnenvertretung benannten Forderungen nehmen Wohnen als gesellschaftliches und individuelles Problem in den Blick. Die SeniorInnenvertretung fordert auch einen vergünstigten Schwimmsport und Preissenkungen bei der BVG, damit gesellschaftliche Teilhabe auch für GrundsicherungsempfängerInnen gilt. Gefordert wird auch eine kostenlose Mieterberatung. Die lebendige Diskussion zeigte, dass die Menschen im Bezirk aktiv sind, viele Vorschläge machen. In der SeniorInnenvertretung finden Sie ein zuhörendes Ohr ebenso wie eine starkes Sprachrohr.

Soziale Stadtteilspaziergänge in Tempelhof-Schöneberg - bewegungsfreundliche Quartiere schaffen

Ariane Rausch verwies auf die hohe Bedeutung der Sozialen Stadtteilspaziergänge in Tempelhof-Schöneberg, die dazu dienen die Mobilität im Stadtteil zu fördern. Diese seien aus der Idee der Stadtteilbegehung entstanden und hätten die Ziele:

  • Prävention und Gesundheitsförderung älterer Menschen
  • Förderung von Bewegung und alltägliche Mobilität im Quartier gemeinsam mit Älteren.

Schließlich unterstütze ein Stadtteil, der zu Spaziergängen und außerhäuslichen Aktivitäten anregt, der sicheres Gehen ermöglicht und einen guten Zugang zu Bewegungsangeboten bietet, ältere Menschen dabei bis ins hohe Alter mobil und selbständig zu bleiben sowie weiterhin soziale Kontakte zu pflegen. Mit zunehmendem Alter werde die nahe Wohnumgebung immer mehr zur zentralen Lebenswelt. Jede hinzukommende Mobilitätseinschränkung enge den Aktionsradius im Alltag ein.

Wie kann Teilhabe für alle gewährleistet werden?

Viele aus dem Publikum bewegt das Thema Altersarmut. In Berlin und auch Tempelhof-Schöneberg ist in den letzten Jahren generell ein Anstieg der GrundsicherungsempfängerInnen zu verzeichnen. Im Innenstadtraum, Schöneberg-Nord (16%) und Schöneberg-Süd (9%) nehmen die meisten über 65-jährigen im Vergleich zu anderen im Bezirk Lebenden Grundsicherung in Anspruch. Frauen über 65 Jahre, TransferleistungsbezieherInnen und Personen mit Migrationsbiografie gehören zu den besonders vulnerablen Gruppen. Eine häufig schlechtere schulische und berufliche Ausbildung bei Frauen sowie eine tendenziell geringere Erwerbstätigkeit reproduzieren die ungleichen Bedingungen, die schon im Erwerbsleben vorhanden sind, nach dem Renteneintritt.

Präventionsketten schaffen sowie für mehr Teilhabe an großen und kleinen Schrauben drehen

Alles kann immer noch besser werden - auch die Ausgestaltung der Teilhabe von SeniorInnen in unserem Bezirk. Vor allem aber wurde deutlich: Viele der mit Altersarmut und Pflegebedürftigkeit zusammenhängenden Herausforderungen sollten viel früher angegangen werden. Gemeinsam wurde überlegt, wie verbesserte Gesundheitsförderung und -bildung als Präventionsmaßnahme passieren kann, wo diese ansetzen sollte und in welcher Form sie am effektivsten sei. Die Frage ist, wie eine der Präventionskette auch für SeniorInnen aufgebaut werden könne. Erinnert wird in diesem Rahmen an die seit 2014 in Tempelhof-Schöneberg existierende bezirkliche Präventionskette von der Schwangerschaft bis zum Eintritt in den Beruf. Diese habe gezeigt: Ex existieren bereits zahlreiche Angebote im Bezirk, diese sind aber noch systematischer aufeinander abzustimmen, durch ein besseres Informationsmanagement, durch die intensivere Nutzung vorhandener Ressourcen, durch professionsübergreifende Kooperation und Vernetzung. Die Gerontopsychiatrischen - Geriatrischen Verbünde sind hier noch zu stärken.

Gesundheitsförderung und Prävention ist ein wichtiger Baustein der Gesundheitspolitik auf Bundesebene. Ich bin froh, dass wir im Juni 2015 endlich das Präventionsgesetz im Deutschen Bundestag beschließen konnten. Wie gut oder schlecht dieses in der Lebenswirklichkeit sein wird, liegt nun am Engagement zahlreicher Akteure. Wesentlich strukturelle Voraussetzungen für eine Gesundheitsförderung in jedem Lebensalter und in allen Lebensbereich ist auf jeden Fall geschaffen.