Manuela Harling, Mitarbeiterin im Wahlkreisbüro Mechthild Rawert
Am 22. September 2016 fand die 3. Genders Studies Tagung als Kooperationsveranstaltung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) unter dem Titel „Arbeit 4.0 - BLIND SPOT GENDER“ statt. Hintergrund und Fazit der Tagungsreihe: Geht es um Genderperspektiven beim Thema Arbeit 4.0, besteht noch jede Menge gesellschaftlicher Diskussions- und Forschungsbedarf.
„Arbeit 4.0 - BLIND SPOT GENDER“
Während der Tagung wurden die Auswirkungen der Digitalisierung der Arbeitswelt im Hinblick auf die Gleichstellung der Geschlechter analysiert. Im Mittelpunkt der Debatten standen die Fragen:
- Inwiefern reproduzieren neue Wirtschaftsformen die Geschlechterverhältnisse?
- Wie wirken sie sich auf die gesellschaftliche Ungleichheit aus?
- Unter welchen Bedingungen eröffnen sich Chancen, Stereotype zu durchbrechen und mehr Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen?
DIW und FES haben sich mit der 3ten Gender Studies den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt gewidmet - Arbeit 4.0 wird zwar überall diskutiert, jedoch unter Ausklammerung der Geschlechterperspektive. Dies wurde gleich zu Beginn der Tagung klar, denn alle ReferentInnen hatten versucht verlässliche Studien bzw. Statistiken für die Vortragsvorbereitung zu finden - doch die Geschlechterperspektive ist ein „blind spot“.
Genderspezifische Verteilungseffekte der Digitalisierung
Dr. Markus Grabka, DIW wies in seinem Statement darauf hin, dass mensch gemeinhin unter Industrie 4.0. oder Arbeit 4.0 eine interaktive Vernetzung der analogen Produktion mit der digitalen Welt versteht. Doch: Diese Vernetzung wirkt auf alle Bereiche des Lebens. Gerade deshalb ist es sehr ärgerlich, dass Genderaspekte bislang unbeachtet geblieben sind.
Grabka wagte die Prognose: Der Robotereinsatz in der Industrie würde zunehmen. Dabei stützte er sich auf die Studie von AT-Keaney „Wie werden wir morgen leben? Deutschland 2064 - Die Welt unserer Kinder“. AT Keaney prognostiziert, dass die Arbeit von 45 % der Beschäftigten in den nächsten 2 Dekaden von Robotern ersetzt werden könnte.
Die Hitliste der gefährdeten Berufe seien:
- Büro- und Sekretariatsberufe
- Berufe im Verkauf
- Berufe in der Gastronomie
- Berufe in der kaufmännischen und technischen Betriebswirtschaft
- Post- und Zustelldienste
- Köche/Köchinnen
- Bankkaufleute
- Lagerwirtschaft
- Metallverarbeitung
- Buchhaltung
Die hier zu Grunde liegende Annahme ist: Berufe mit einer Automatisierungswahrscheinlichkeit von über 70 Prozent werden als gefährdet zu betrachtend sind.
Die Top 10 der ungefährdeten Berufe seien
- Kinderbetreuung und -erziehung
- Gesundheits- und Krankenpflege
- Aufsichts- und Führungskräfte
- Unternehmensorganisation und -strategie
- Maschinenbau und Betriebstechnik
- Kraftfahrzeugtechnik
- Vertrieb (Einkaufs-, Vertriebs- und Handelsberufe)
- Sozialarbeit und Sozialpädagogik
- Altenpflege
- Hochschullehre und -forschung
- Bauelektrik
In der Hitliste der ungefährdeten Berufe liegen die „typischen Frauenberufe“ genauso weit vorn wie in der Hitliste der gefährdeten Berufe. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die typischen Frauenberufe schlechter bezahlt werden und diese einen Großteil des Gender Pay Gaps ausmachen, wagte Grabka auch die Prognose, das der Gender Pay Gap durch den Wandel der Arbeitswelt noch zunimmt. Bislang seien die Profiteure der Arbeit 4.0. jedenfalls nicht die Frauen, sondern Unternehmer, Aktionäre und Besserverdienende, also mehr Männer.
Gendergerechte Arbeitszeiten im digitalen Zeitalter
Dr. Katharina Wrohlich (DIW) sieht in der Digitalisierung die Chance zur Angleichung der Arbeitszeit von Männern & Frauen. Bislang unterscheiden sich die Arbeitszeiten von Frauen und Männern stark - sie driften immer weiter auseinander und stagnieren seit rund 15 Jahren. Frauen verkürzen familienbedingt ihre Erwerbsarbeitszeit stärker als Männer, übernehmen Pflege- und Sorgearbeit und zementieren damit veraltete Rollenbilder. Die Digitalisierung der Arbeitswelt könnte dazu beitragen, diese starre Rollenteilung zu überwinden. Digitalisierung der „Bürowelt“ könnte den Familien helfen, Beruf und Familie zeitgerechter zu organisieren.
Sheconomy - Wissenarbeiterinnen auf dem Vormarsch?
Prof. Dr. Christiane Funken stellte fest: Zu keiner Zeit waren Frauen in unserer Gesellschaft so gut ausgebildet wie heute. Und dennoch scheitern sie immer wieder beim beruflichen Aufstieg. Sind in der mittleren Führungsebene noch verhältnismäßig viele Frauen vertreten, wird die Luft in den Chefetagen nach wie vor dünn. Die Digitalisierung der Arbeitswelt sei eine große Chance für Frauen, da gerade die soft skills - die Frauen viel besser als Männer beherrschen - viel mehr gefragt sind in der digitalisierten Welt. Nun geht es darum, dass frau dies auch erkennt und für sich nutzt.
Mehr Lohngerechtigkeit zwischen Männern und Frauen im digitalen Zeitalter
Frauen- und Familienministerin Manuela Schwesig weist in ihrer Rede auf die bestehenden strukturellen Ungerechtigkeiten in der Arbeitswelt hin: die Abwertung „weiblicher“ Berufe, ungleiche Bezahlung, ungleiche partnerschaftliche Aufgabenverteilung. In der Digitalisierung sieht die Ministerin großes Potenzial: In vielen Branchen würden sich neue Dynamiken und damit auch neue Möglichkeiten entwickeln, die Männer und Frauen nutzen sollten. Insbesondere würde sich durch mobiles Arbeiten die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessern - wenn die Arbeitgeber dieses Arbeiten möglich machen. Das Präsenzdenken ist in vielen Betrieben noch stark ausgeprägt und müsse überwunden werden.
Die Rolle von Gender im digitalen Wandel
Für Christina Schildmann, Hans-Böckler-Stiftung ist klar: Technischer Wandel verändert Märkte, Produktionsprozesse, Unternehmenskulturen und Arbeitsweisen. Der Wertewandel bringt neue Prioritäten hervor. Die viel zitierte „Generation Y“ hat andere Erwartungen an Arbeit als die Generationen davor. Kaum etwas hat sich so massiv verändert wie die Bilder zu den Geschlechterrollen. 60 Prozent der Eltern mit kleinen Kindern sagen inzwischen, dass sie sich Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung partnerschaftlich teilen wollen - aber nur 14 Prozent können das im Alltag realisieren. Diese Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit zeigt den großen Handlungsbedarf für Politik, Tarifparteien und Betriebe.
Arbeitsrecht und Mindestlohn
Die weiteren Referate widmeten den bereits veränderten Rahmenbedingungen von Arbeit:
Prof. Dr. Eva Kocher (Europauniversität Viadrina) stellt heraus, dass auch die arbeitsrechtlichen Aspekte der Digitalisierung in den Fokus zu nehmen sind. Das Arbeitsrecht regelt „normale“ Arbeitsverträge. Für die „selbständigen Unselbständigen“ müssen klare Regelungen gefunden werden.
Frau Prof. Uta Meier-Gräwe ( Universität Gießen) hat sich Internetplattformen wie Helpling gewidmet. Sie kommt zu der Erkenntnis, dass diese Plattformen in erster Linie den Mindestlohn unterlaufen. Die Putzfrauen (und -männer) seien Soloselbständige, die sich selbst versichern müssen, die keinen Ersatz für Arbeitsmittel und Anfahrtswege bekommen. Ihr durchschnittlicher Stundenlohn liegt bei sechs Euro. Die digitalen Plattformen fungieren „nur“ als Vermittler. Mit den Entgelten für die Vermittlungen lasse sich aber gut Geld verdienen. Die kleinen, meist von Frauen geführten Dienstleistungsunternehmen für haushaltsnahe Dienstleistungen werden durch die aggressiv werbenden Plattformen geradezu „an die Wand gedrängt“. Statt Schwarzarbeit oder die Plattformen zu unterstützen, sollten die Privathaushalte besser die kleinen Dienstleistungsunternehmen stützen, wenn sie eine Hilfe im Haushalt suchen.
Fazit: Geht es um Genderperspektiven beim Thema Arbeit 4.0 besteht noch jede Menge gesellschaftlicher Diskussions- und Forschungsbedarf.