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Politik spricht über Demenz - ich hoffe, wir auch alle

Rund 1,6 Millionen Menschen sind heute in Deutschland an Demenz erkrankt. Jährlich erkranken 300.000 Menschen neu. Darauf machte die diesjährige bundesweite „Woche der Demenz“ aufmerksam, die vom 19. bis 25. September 2016 stattfand. Sie ist zentraler Programmpunkt der nationalen Allianz für Menschen mit Demenz und steht in diesem Jahr unter dem Motto „Jung und Alt bewegt Demenz“. Das Ziel ist die Förderung des Verständnisses und die Unterstützung für Betroffene und pflegende Angehörige. Die „Woche der Demenz“ wurde 2015 zum ersten Mal deutschlandweit unter der gemeinsamen Schirmherrschaft von BundesseniorInnenministerin Manuela Schwesig (SPD) und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) durchgeführt. Die Initiative dazu ging von der Allianz für Menschen mit Demenz aus, die diese Woche als zentrale öffentlichkeitswirksame Maßnahme ins Leben rief.

In ihrem gemeinsamen Grußwort zu dieser Aktionswoche betonen die MinisterInnen: Die Krankheit Demenz, die zumeist ältere Menschen betrifft, durchaus aber auch Jüngere ereilen kann, wird nicht nur von der erkrankten Person als belastende Veränderung der eigenen Person erlebt. Auch Angehörige, FreundInnen und NachbarInnen spüren die Folgen dieser Krankheit. Die meisten Menschen, die jemanden mit einer Demenzerkrankung in ihrer Familie haben, empfinden Belastungen. So macht es 58 Prozent traurig, wie sich die Erkrankte aus ihrer Sicht verändern. 30 Prozent sind sich unsicher, wie sie mit den Erkrankten umgehen sollen. Jede/r Vierte äußert Angst, den Verwandten könne etwas zustoßen.

Wichtige Schlüssel zur Lebenswelt von Menschen mit Demenz sind deshalb Einfühlungsvermögen und wache Neugier in der Begegnung miteinander, Fähigkeiten, die gerade auch jüngere Menschen haben. Mit ihrer positiven Einstellung zum Leben können gerade Jüngere zur Verbesserung der Lebensqualität Betroffener beitragen. Die heutige junge Generation sieht sich in einer Gesellschaft, in der Demenz schon heute viele Menschen betrifft. Die Tendenz ist steigend. Deshalb brauchen auch Jüngere dabei Unterstützung, dass mehr Verständnis für Menschen mit Demenz geschaffen und generationenübergreifend Solidarität mit den Betroffenen und ihren Angehörigen gelebt wird – in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Schule, im Verein, im Krankenhaus oder im Pflegeheim. Auch für junge Menschen kann es sinnstiftend sein, sich mit der Erkrankung bzw. mit den an Demenz leidenden Menschen zu befassen.

Demenz betrifft Kinder und Jugendliche

Etwa 29 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind im familiären Umfeld vom Thema Demenz betroffen, so das Ergebnis einer aktuellen, repräsentativen Umfrage des Zentrums für Qualität in der Pflege (ZQP). Dies unterstreicht die Relevanz des diesjährigen Leitthemas "Jung und Alt bewegt Demenz". Wenig bedacht und noch weniger gesprochen wird über die Empfindungen und Bedürfnisse, die ein demenzerkrankter Angehöriger bei Kindern und Jugendlichen auslösen kann. Hierzu gibt es auch kaum Untersuchungen – es braucht dafür aber mehr Aufmerksamkeit. Für die Kurzanalyse wurden 1.005 Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren befragt. Das Fazit des ZQP ist: Der Umgang mit der Krankheit ist für viele Kinder und Jugendliche ein Thema, bei dem sie auch Unterstützung benötigen.

Eröffnung der Fotoausstellung „Erinnerung“ im Rahmen des Forums „Erinnerung“

Am Vorabend des Welt-Alzheimertags veranstalteten die Stiftung Zentrum für Qualität in der Pflege und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) am 20. September das Forum „Erinnerung“. Rund 1oo Gäste aus Wissenschaft, Politik und Kunst folgten der Einladung ins Atrium des BMG. Im Mittelpunkt stand vor allem die Eröffnung der Fotoausstellung „Erinnerung“, die das ZQP mit der Fotografin Laurence Chaperon entwickelt hatte. Darin schildern Personen der Zeitgeschichte ihre Sicht und Bedeutung von Erinnerungen. Ausdrucksstarke Portraits unterstreichen dabei die persönlichen Perspektiven auf das Thema. Portraitiert wurden u. a. Außenminister Frank Walter Steinmeier, die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Ulla Schmidt, die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis oder auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe und Finanzminister Wolfgang Schäuble.

Nach der Begrüßung durch die beiden Gastgeber Hermann Gröhe, Bundesminister für Gesundheit, und Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender des ZQP, informierte Dr. Iris Hauth in ihrem Impulsvortrag über den aktuellen Forschungsstand. Die Präsidentin der DGPPN hob dabei hervor, dass eine erfolgreiche Demenz-Prophylaxe schon frühzeitig ansetzen müsse. Im ExpertInnengespräch zum Thema „Jung und Alt bewegt Demenz“ schilderten Sabine Jansen, Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e. V., David Sieveking, Regisseur und Autor, Katrin Markus, Vorstandsmitglied der BAGSO e. V., und Prof. Dr. Andreas Fellgiebel, Chefarzt der gerontopsychiatrischen Abteilung an der Rheinhessen-Fachklinik Alzey, ihre persönlichen und fachlichen Perspektiven auf das Thema. Aufgezeigt wurde, wie unerlässlich weitere Verbesserungen im Bereich der Versorgung von Demenzerkrankten und ihren Angehörigen sind. Erwähnt wurde, dass aufgrund mangelnder ambulanter Versorgungsmöglichkeiten Betroffene häufig unnötigerweise stationär versorgt werden müssten. Dies sei für die Betroffenen eine zusätzliche Belastung, die sich negativ auf deren Gesundheitszustand auswirkt.

Die Ausführungen machten aber vor allem Folgendes deutlich: Das Thema Demenz wird in den kommenden Jahren weiterhin im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Anstrengungen stehen müssen. Es ist wahrlich an der Zeit, für die Verbesserung der Versorgungsstrukturen für an Demenz Erkrankte und deren Angehörige zu sorgen. Mit den Pflegereformen gehen wir mit großen Schritten in die richtige Richtung und verbessern die Versorgung Demenzerkrankter und ihrer Angehörigen ganz erheblich – es bleibt aber noch viel zu tun.

Demenz: Politik, Wissenschaft und Gesellschaft, alle stehen in der Verantwortung

Rund 1,6 Millionen Menschen sind heute in Deutschland an Demenz erkrankt. Jährlich erkranken 300.000 Menschen neu. Die Gesamtzahl an Menschen mit Demenz nimmt damit jährlich um rund 40.000 zu (Differenz Neuerkrankungen zu Sterbefällen). In Familien, Nachbarschaft und Quartier werden künftig immer mehr Menschen mit Demenz leben. Sollte kein Durchbruch in der Forschung oder Therapie der Demenzerkrankung gelingen, so wird sich die Zahl der Erkrankten in Deutschland laut Angaben der Deutschen Alzheimer Gesellschaft e.V. bis zum Jahr 2050 auf 3 Millionen Betroffene erhöhen. Um einer Isolierung der Erkrankten und ihrer Angehörigen entgegenzuwirken und ihnen umfassende Hilfe und Unterstützung anbieten zu können, hat die Bundesregierung die „Allianz für Menschen mit Demenz“ als eine der Arbeitsgruppen der Demographiestrategie ins Leben gerufen.

Trotz dieser gesamtgesellschaftlichen Entwicklung wird im Alltag deutlich, dass dementielle Erkrankungen den meisten Menschen große Sorge bereiten und der Wissensstand zum Thema oft gering ist. Demenz ist nach wie vor stark tabuisiert und mit Scham besetzt. Zudem geht der fortschreitende Verlust der Erinnerung des an Demenz erkrankten Menschen oftmals mit einem Vergessen- und Verdrängt werden durch die Gesellschaft einher. Aufklärung, Enttabuisierung und Hilfe beim Umgang mit Schamgefühlen müssen daher weiterhin im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Anstrengungen stehen. Wir alle stehen in der Verantwortung und müssen dieser Situation politisch, wissenschaftlich und gesellschaftlich angemessen begegnen.

Was macht die Politik?

Auf politischer Ebene wird die 1995 eingeführte Soziale Pflegeversicherung konsequent und nachhaltig weiterentwickelt. Vor allem zu nennen sind gesetzliche Neuregelungen dieser Legislaturperiode: Mit der Verabschiedung der Pflegestärkungsgesetze (PSG) 1 und 2 und der damit in Zusammenhang stehenden Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffes sowie dem noch zur Verabschiedung anstehenden PSG 3 wird demenzerkrankten Menschen und deren Angehörigen in besonderer Weise Unterstützung zuteil. Das ist gerecht. Durch die Vergabe von Forschungsgeldern sollen neue Interventionen zur besseren Versorgung der Erkrankten im Rahmen von Forschungsprojekten entwickelt werden. In diesem Zusammenhang unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter dem Schwerpunkt „Pflegeinnovationen für Menschen mit Demenz“ die Entwicklung von innovativen Versorgungs- und Trainingskonzepten. Im Vordergrund stehen hier in erster Linie die Verbesserung der Mobilisierung und der Erhalt der körperlichen (und kognitiven) Leistungsfähigkeit sowie der Schutz vor weiterem Verfall im Vordergrund.

Jede Woche muss eine „Woche der Demenz“ sein

An Demenz Erkrankte gehören zu unserer inklusiven Gesellschaft! Deshalb ist es von immenser Bedeutung, Betroffene nicht an den Rand, sondern in die Mitte unserer Gesellschaft zu holen. Aufklärungsarbeit, Enttabuisierung, aber auch Teilhabe, Unterstützung und Inklusion müssen im Mittelpunkt unserer gesellschaftlichen Anstrengungen stehen.

"Gemeinsam für Menschen mit Demenz" - Positive Zwischenbilanz zur Umsetzung der Agenda

Seitdem die Agenda "Gemeinsam für Menschen mit Demenz" vor zwei Jahren unterzeichnet wurde, ist vieles in Bewegung geraten: Sportvereine öffnen ihre Angebote für Menschen mit Demenz, SchülerInnen übernehmen Patenschaften für HeimbewohnerInnen und für pflegende Angehörige gibt es Online-Kurse – das kann aber erst der gesellschaftliche Start sein.

Die Allianz für Menschen mit Demenz hat anlässlich des Welt-Alzheimertages am 21. September ihren Zwischenbericht „Gemeinsam für Menschen mit Demenz“ zur Umsetzung der Agenda herausgebracht. Der etwa 50 Seiten umfassende Zwischenbericht enthält eine Kurzdarstellung des Arbeitsprozesses, des Verfahrens zum Monitoring der beschlossenen Maßnahmen sowie beispielhafte Projekte aller Gestaltungs- und Kooperationspartner.

Im Fokus des Berichts steht das Handlungsfeld III „Unterstützung von Menschen mit Demenz und deren Familien“, das zentrale Maßnahmen der Bundesregierung enthält: z.B. das Modellprogramm der Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz oder die Pflegestärkungsgesetze. Darüber hinaus beschreibt dieses Kapitel eine Vielzahl von Maßnahmen im Städte- und Wohnungsbau. Insgesamt können die PartnerInnen der Agenda auf 140 Umsetzungsmaßnahmen verweisen.

Demenz und Migrationsbiographie - Neue Studie beginnt

In Deutschland leben über 100.000 Menschen mit Migrationshintergrund mit unterschiedlichen dementiellen Veränderungen, also z.B. mit Alzheimer. Auch Menschen mit Migrationshintergrund werden älter. Auch in Migrationsfamilien gibt es Demenz. Über die spezielle Situation von Menschen mit Demenz in „Migrantenfamilien“ ist noch recht wenig bekannt. Daher werden jetzt unterschiedliche Weisen des Umgangs mit Demenz in Familien mit Migrationsgeschichte(n) näher untersucht.

Die deutschlandweite Initiative Aktion Demenz e. V. wird dieses Vorhaben mit Unterstützung des Institutes für Soziologie der Justus-Liebig-Universität Gießen und gefördert durch die Robert-Bosch-Stiftung durchführen.

In den wenigen vorhandenen Studien zum Thema finden sich Hinweise, dass Menschen mit Migrationsbiographie aufgrund ihrer Biographien und Lebenssituationen ein höheres Risiko tragen, im Alter von einer Demenz betroffen zu sein. Aufgrund vorhandener Sprachbarrieren oder auch vergessener Deutschkenntnisse gibt es besondere Schwierigkeiten im Alltag, aber auch in der Pflege oder bei der Diagnose. So können gängige Demenz-Tests häufig nicht angewandt werden.

Für die Studie werden vor allem Interviews mit Angehörigen von Menschen mit Demenz geführt werden. Dabei werden sowohl Menschen mit unterschiedlichen Migrationshintergründen (z. B. Türkei, Osteuropa, Südeuropa) befragt, sowie zum Vergleich auch eine Art Kontrollgruppe ohne nennenswerten Migrationshintergrund eingeschlossen. Im Falle der Türkei werden zudem vor Ort ExpertInneninterviews durchgeführt, um auch hier Vergleiche ziehen zu können. Es geht unter anderem um folgende Fragen: „Wie wird Demenz verstanden? Wie sieht der Umgang mit Demenz aus? Wer pflegt? Welche Kenntnisse und Wünsche über ambulante, institutionelle, nachbarschaftliche Hilfen gibt es? Welche kulturellen, familiären, traditionellen Orientierungen wirken sich wie aus? Gibt es Ansätze von demenzfreundlichen Gemeinschaften?“. Die Untersuchung soll dazu dienen, Impulse für kultursensible Ansätze für den Umgang mit Menschen, die von Demenz betroffen sind und ihre Angehörigen zu geben.

Die Umsetzung der Agenda „Gemeinsam für Menschen mit Demenz“ ist ein über vier Jahre angelegter Prozess, der getragen ist von den gemeinsamen Kraftanstrengungen des großen Bündnisses der Allianz für Menschen mit Demenz. Der Umsetzungsprozess endet vereinbarungsgemäß mit dem Abschlussbericht der Allianz für Menschen mit Demenz im Rahmen der Woche der Demenz im September 2018. Er ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Nationalen Demenzstrategie in Deutschland.