Eine ebenso faszinierende wie beeindruckende Biografie verbirgt sich hinter dem Namen Reinhard Strecker. Um dahinter zu schauen, habe ich Reinhard Strecker zusammen mit meiner Bundestagskollegin Dr. Ute Finckh-Krämer aus Steglitz-Zehlendorf am 17. November 2016 zu einem Zeitzeugengespräch eingeladen. Mit Reinhard Stecker ist nicht nur die denkwürdige Ausstellung „Ungesühnte Nazi-Justiz“ verbunden, sondern auch über 66 Jahre aktives Engagement in der SPD. Gemeinsam mit Siegfried Heimann, Mitglied der Historischen Kommission der SPD Berlin, und dem Historiker Dieter Fitterling wurde Reinhards Engagement von den zahlreich Anwesenden gewürdigt.
Von der SS zu einem langen Fußmarsch gezwungen und mit 14 Jahren von der schottischen Brigade befreit, verschlug es den heute 86jährigen Reinhard Strecker einige Jahre später nach Paris, wo er die Hochschulreife erlangte. Als er schließlich nach Deutschland zurückkehrte, begann er ein Studium an der Freien Universität Berlin. Die Tatsache, dass sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR noch immer Nazis hohe Ämter bekleideten, ließ ihn aber nicht los.
Er begab er sich auf die Suche nach Dokumenten über in der BRD weiterbeschäftigte Juristen, die im Dritten Reich nur allzu bereitwillig Befehle befolgten und Todesurteile fällten. Fündig wurde er dabei vor allem in den Archiven in der ehemaligen DDR und in Polen. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS) half ihm dabei, die Echtheit dieser Dokumente zu prüfen. Auf Grundlage dieser Dokumente stellte Strecker gegen 43 schwer belastete ehemalige Nazi-Richter Strafanzeige. Doch seine Enthüllungen wurden als kommunistische Propaganda abgetan und ihm wurde vorgeworfen er betreibe das Geschäft der DDR. Daraufhin erstellte er mit fotografischen Kopien nationalsozialistischer Sondergerichtsakten eine Wanderausstellung, die unter großen Schwierigkeiten in einigen westdeutschen Städten gezeigt wurde. Die dadurch ausgelösten gesellschaftlichen Kontroversen waren riesig.
„Ungesühnte Nazi-Justiz“
Die Umsetzung der Wanderausstellung gestaltete sich weitaus schwieriger, als es heutzutage angenommen wird. Fotokopien waren zu der damaligen Zeit unvorstellbar teuer, sodass Strecker sich Geld von Schweizer Publizisten leihen musste. Und schließlich musste ein Ort gefunden werden an dem die Ausstellung gezeigt werden durfte. Die Ausstellung, die unter dem Namen „Ungesühnte Nazi-Justiz“, bekannt wurde, sollte zuerst in Karlsruhe, dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts, gezeigt werden. Doch auch hier wurden Strecker Steine in den Weg gelegt. So berichtete er während des Zeitzeugengespräches, dass sich beispielsweise der SPD-Parteivorstand von diesem Vorhaben distanzierte. Die Diffamierung ging so weit, dass ihm die Ausstellungsräume gekündigt wurden. Die Organisatoren dieser Ausstellung wurden von der SPD ausgeschlossen. Reinhard Strecker und der SDS ließen sich davon jedoch nicht aufhalten und gaben nicht auf. Die nächste Ausstellung sollte dann in den Räumlichkeiten der Freien Universität Berlin stattfinden, doch das wurde ihnen verweigert. Schließlich bekam er die private Kunstgalerie Springer am Kurfürstendamm zur Verfügung gestellt und die Ausstellung konnte am 23. Februar 1960 eröffnet werden. Sie lockte viele BesucherInnen an, darunter auch eine Gruppe ausländischer JournalistInnen, die bei einem anschließenden Treffen mit dem damals Regierenden Bürgermeister Willy Brandt voll des Lobes darüber waren, wie gut sich die Deutschen doch mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzten.
„Das Bundesverdienstkreuz am Bande“
Die Ausstellung wurde ein voller Erfolg und trug maßgeblich zum Wandel der Berliner SPD, in die er noch im Jahre 1960 aufgenommen wurde, bei. Nicht so sehr wandelte sich die Haltung der BRD-Regierung gegenüber der Aufgabe Aufarbeitung der Vergangenheit. Die Adenauer-Regierung meinte bis zum Schluss, irgendwann müsse doch auch mal Schluss mit der Vergangenheitsbewältigung sein.
Reinhard Strecker hat auf Eigeninitiative mit seiner Ausstellung etwas vollbracht, was eigentlich Aufgabe der Nachkriegsjustiz gewesen wäre. Er hat diejenigen nationalsozialistischen Juristen ermittelt und angeklagt, die auch nach dem Ende des Krieges noch hohe Ämter bekleideten und hat sich damit mit den Worten Siegfried Heimanns Worten gesagt, „um die Demokratie in Deutschland verdient gemacht.“
Zu Recht wurde ihm im Jahr 2015 für seine Pionierarbeit in der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Justizverbrechen das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Der SPD Parteivorsitzende Sigmar Gabriel betonte in seinem Dankesschreiben für über 50 Jahre Parteimitgliedschaft Reinhards Engagement gegen das Verdrängen und Vergessen von nationalsozialistischen Unrecht in der frühen Bundesrepublik.
Am 27. November 2016 erhält Reinhard Strecker den Preis der Arnold-Freymuth-Gesellschaft in Hamm. Arnold Freimuth war Sozialdemokrat und entschiedener Verteidiger der Weimarer Republik. Er musste 1933 vor den Nazis flüchten und nahm sich dann in Paris das Leben.
Zu dem Zeitzeugengepräch kamen viele interessierte ZuhörerInnen, die das Engagement Streckers gegen das Verdrängen und Vergessen von nationalsozialistischem Unrecht würdigten. Reinhard Strecker schmückte seine Erzählungen mit zahlreichen Anekdoten und es wurde ein äußerst interessanter und spannender Abend. Siegfried Heimann hat in der Berliner Stimme vom 31. Januar 2015 einen sehr lesenswerten Artikel über das Wirken von Reinhard Strecker veröffentlicht. Ich bin sehr stolz, dass Reinhard Mitglied in meiner Heimatabteilung Friedenau ist.