Hauptmenü

Lea Waks, Jüdin, Displaced Person und Zuhause im Bayerischen Viertel

Im kurz nach der Jahrhundertwende entstandenen Bayerischen Viertel wohnte 1933 ein hoher Anteil der mehr als 16.000 in Schöneberg lebenden jüdischen Bürger*innen. Im Juni 1943 war das Viertel „judenfrei". An ihre Ausgrenzung, Enteignung, Deportationen und Ermordungen erinnern heute zahlreiche Stolpersteine, aber auch das flächendeckende Denkmal in Form von 80 Gedenktafeln an Laternenmasten.

Im Bayerischen Viertel heute kommt es aber auch zu ungewöhnlichen Begegnungen und Freundschaften: Eine solche war die Begegnung zwischen von Lea „Lola“ Waks (1929-2015), einer „stolzen Jüdin“ und den beiden Journalisten Hans-Peter Föhrding und Heinz Verfürth. Lea Waks war eine selbstbewusste und resolute Frau, die auch auf der Straße das Gespräch suchte, auch Fremden ihre Lebensgeschichte erzählte, wie sie den Holocaust überlebt hatte. Sie war auf ihre eigene Weise Zeitzeugin des Holocaust.

Buch: Als die Juden nach Deutschland flohen - Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte

Der Lebensweg von Lea Waks bildet den roten Faden des Buches „Als die Juden nach Deutschland flohen - Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte“ von Hans-Peter Föhrding / Heinz Verfürth. Anfang März diesen Jahres ist das vom KiWi-Verlag herausgegebene Buch erschienen. Für dieses Buch haben die beiden Autoren drei Jahre recherchiert, geschildert werden viele jüdische Einzelschicksale der Nachkriegszeit 1945 bis 1957.

Eine Buchpräsentation fand am 16. März um 19 Uhr in der Landeszentrale für politische Bildung im Amerika Haus vor einem bis auf den letzten Stuhl besetzten Saal statt. Die Ortswahl geschah nicht zufällig, glaubte sich doch Lea Waks in den deutschen DP-Camps "quasi in Amerika". An der Podiumsdiskussion nahmen auch Lea Waks’ Sohn Ruwen, der als Historiker und Politologe in Tel Aviv lebt, und Lala Süsskind, die ehemalige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde und ebenfalls in einem DP-Camp großgeworden, teil.

Deutschland nach 1945 – jüdisches Leben im Land der Täter

Wer weiß schon, dass 1945/47 rund europäische 300.000 Jüd*innen, besonders aus Polen, aufgrund neuer antisemitischer Verfolgung ins Land der Täter nach Deutschland flohen? Die Überlebenden der Schoah 1946/47 flüchteten zumeist in die amerikanische Zone in sogenannte DP-Lager (für „Displaced Persons“, also Entwurzelte, Staatenlose). Unter dem Schutz der Alliierten begannen sie ein neues Leben. Die DPs kamen keineswegs, um hier auf Dauer zu bleiben, sondern glaubten sich nur auf der Durchreise nach Palästina. Ein großer Teil zog schließlich nach der Staatsgründung Israels 1948 dorthin weiter, viele in die USA, andere wiederum blieben auch in Deutschland. Das Camp Föhrenwald als letztes der weit über hundert DP-Lager schloss erst Anfang 1957.

Lea Waks - eine stolze Jüdin im Bayerischen Viertel

Auch Lea Waks ist 1946 im Camp Ziegenhain in Nordhessen angekommen. In Lodz geboren, überlebte sie das dortige Ghetto. 1946 verließ sie Polen mit ihrer Familie panikartig. Zunächst lebte sie im DP-Lager Ziegenhain in Hessen, dann ging es weiter ins Lager Föhrenwald in Oberbayern. Sie heiratete Aron, bekam zwei Söhne, Moishe und Ruwen - und lebte gegen Ende ihres Lebens im Bayerischen Viertel. Diese Lager wurden in Selbstverwaltung geführt, mit allen Elementen traditionellen osteuropäischen Judentums, Synagogen, Schulen, Ausbildungsstätten, Theatern. So entfaltete sich in den Camps das Schtetl-Leben Osteuropas. Für die Familie Waks dauerte die Lagerzeit allerdings ein ganzes Jahrzehnt. 1957 nahm sie die Jüdische Gemeinde in Düsseldorf auf, wo sie drei Jahrzehnte als Textilkaufleute lebten. Ihr 2009 verstorbener Sohn Moishe Waks übernahm seit 1980 Verantwortung in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, war Schul- und Kulturdezernent, war stellvertretender Gemeindevorsitzender. Sie wollte ihrem Sohn nahe sein und war daher nach Berlin gezogen. Ihre letzte Heimat war das Bayerische Viertel bis zu ihrem Tod im Jahr 2015. Lea Waks fehlt uns.

DP-Lager in Berlin, eines in Mariendorf

Auch in Berlin wurden im Laufe des Jahres 1946 in den Westsektoren von Berlin drei solche Lager eingerichtet: am Eichborndamm in Wittenau, an der Potsdamer Chaussee in Zehlendorf und an der Eisenacher Straße in Mariendorf. An das DP-Lager in Mariendorf erinnert heute eine sehr gut gestaltete Erinnerungstafel in einer Bushaltestelle in der Eisenacher Strasse. „In diesen, durch einen bewachten Zaun von der deutschen Bevölkerung abgetrennten Lagern entstand für die Dauer von zwei Jahren eine selbstverwaltete ‚Jüdische Stadt‘ mit einer eigenen Polizei, eigenem Gerichtsstand, vielen Kultureinrichtungen, Synagogen, einer Schule und einem Kindergarten.

Zu Beginn der sowjetischen Blockade der Westsektoren am 24. Juni 1948 beschlossen die Westmächte, die drei DP-Lager aufzulösen. Die Bewohner wurden mit ‚Rosinenbombern‘ ausgeflogen, die auf dem Rückflug von West-Berlin nach Westdeutschland ohne Fracht waren. Damit ging die kurze Geschichte der kleinen ‚Jüdischen Stadt‘ in Mariendorf zu Ende.„