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„Das glaubst du nicht, das fühlt sich an wie unsere Haut“ - Zum Internationalen Tag gegen Rassismus beim Bundesverband der AWO

Autorin ist Julia Gal, die im Rahmen ihres Studiums der Öffentlichen Verwaltungswirtschaft an der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin, ein Pflichtpraktikum in meinem Bundestagsbüro absolviert.

Ein kleines Kind sah das erste Mal einen schwarzen Mann und fragte, ob es dessen Hand berühren dürfe. Der Mann willigte ein und das Kind ging zu ihm hinüber, musterte die Haut seiner Hand und rief erstaunt aus: „Das glaubst du nicht, das fühlt sich an wie unsere Haut“. Gerwin Stöcken erzählte dieses Erlebnis bei der Veranstaltung des Bundesverbandes AWO zum Internationalen Tag gegen Rassismus am 21. März 2017.

Zu der Diskussionsrunde waren eingeladen: Wolfgang Thierse (Bundestagspräsident a.D.), Gerwin Stöcken (Mitglied des Präsidiums des AWO-Verbands und Stadtrat für Soziales, Wohnen, Gesundheit und Sport in Kiel), Prof. Dr. Wolfgang Benz (Historiker), Britta Hilpert (Leiterin ZDF-Landesstudio Brandenburg, Vorstandsmitglied „Reporter ohne Grenzen“) und Dr. Britta Schellenberg (Politikwissenschaftlerin). Zur Veranstaltung kamen rund 100 interessierte Bürger*innen, um gemeinsam das Thema Rassismus-heute zu diskutieren. Tagtäglich gibt es Übergriffe mit rassistischem Hintergrund, Demonstrationen gegen Ausländer*innen und das Erstarken der AfD- spricht ebenfalls für sich.

Die Arbeiterwohlfahrt gehört zu den ältesten und größten deutschen Verbänden der Freien Wohlfahrtspflege. Ihr Ziel ist es, bei der Lösung sozialer Probleme und Aufgaben aktiv mitzuwirken und damit die demokratischen und sozialen Ziele unseres Rechtsstaates zu realisieren und aufrecht zu erhalten. Die AWO bezieht klar Stellung gegen Rassismus, Populismus und Ressentiments und setzt an diesem Internationalen Tag gegen Rassismus 2017 ein wichtiges Zeichen.

„Warum sind Sie hier und wofür demonstrieren Sie?“

Eigentlich eine ganz normale Frage einer Journalistin bei einer Demonstration. Nicht so bei der Cottbusser Demonstration der AfD im November 2015, bei der auch Björn Höcke eine Rede hielt. Britta Hilpert war für das ZDF mit ihrem Kamerateam vor Ort. Statt Antworten auf ihre Fragen zu erhalten, wurde sie bei den kurzen Interviews beschimpft und sogar angegriffen, sodass die Polizei einschreiten musste. Der Rohschnitt wurde ins Internet gestellt, damit sich alle selbst ein Bild davon machen können.

„Unrecht und Menschenrechtsverletzungen fangen meist im Kleinen an und bleiben häufig verborgen“, musste Dr. Britta Schellenberg feststellen. Ihre Dissertation hatte die Politikwissenschaftlerin zum rassistischen Übergriff in Mügeln (Sachsen) geschrieben. Lange tappte sie dabei im Dunkeln, erhielt keine Auskunft zu eventuell rassistischen Hintergründen - „es gebe keine“, wurde ihr in der sächsischen Stadt schlichtweg wiederholt gesagt. Erst als Schellenberg dem Fall näher kommen konnte und Einblick in die Polizeiakten erhielt, wurden ihr die Verschleierung und deren Folgen bewusst. So wurde der Hauptzeuge im Nachhinein verletzt und einige Jugendliche hätten die Stadt verlassen. Die Menschen hätten vermutlich einfach Angst auszusagen, erzählte sie. Nach der Publikation ihrer Dissertation erhielt die Politikwissenschaftlerin viele positive und negative Reaktionen aus der Stadt Mügeln. Interessant fand Schellenberg, dass die Zeug*innen von der Polizei zu dem „Konflikt zwischen den Indern und den Deutschen“ befragt worden sind, was ja schon eine Beeinflussung sei. Nur wenige Befragte hätten das realisiert, korrigiert und den Konflikt als einen Konflikt mit rechtsextremistischen Ursachen thematisiert.

„Aufklärung ist eine Haltung und kein Wundermittel“

Das betonte Prof. Dr. Benz in seinem Vortrag „Provokation und Demagogie. Populistische Empörung statt demokratischer Politik“. Er hat sich als ehemaliger Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung der TU Berlin und Professor der Zeitgeschichte auch der Vorurteilsforschung verschrieben. Benz erklärte, dass die Methodik der Populist*innen und Rechtsradikalen Provokation, Tabubruch und Erregung von Aufmerksamkeit seien. Er deckte einige Ungereimtheiten der AfD auf und mahnte an, dass der Begriff „völkisch“, den Frauke Petry verwende, keinesfalls nur das Adjektiv von Volk, sondern ein rassistischer Begriff sei, der die gleiche Herkunft bzw. Rasse beschreibe. „Gegen irrationale Demagogen hilft nur Vernunft“, rief Benz auf.

„Es gab damals viele Beschönigung und Nichtwahrhaben-wollen“, erklärte Wolfgang Thierse über die Vergangenheitsbewältigung der Deutschen. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass dieses  Land viel pluralistischer wird. Das wird nicht einfach, aber wir müssen lernen, Konflikte friedlich zu klären.“, führte der ehemalige Bundestagspräsident weiter aus. Die Integration der Ostdeutschen ist eine noch nicht beendete große Aufgabe. Die Herausforderungen, die die erfolgreiche Integration der Flüchtlinge mit sich bringen, seien größer.

Weshalb werde das Wort „Lügenpresse“ in der heutigen Zeit so stark frequentiert, fragte Moderator Alfred Eichhorn die Teilnehmenden. Die Presse sei eine Institution, die die Demokratie trägt. Daher werden von Rechtspopulist*innen und Rechtsextremen sowohl die Politiker*innen als auch die Presse in das Visier genommen. „Lügenpresse“ wäre ein Begriff, der eint und zugleich abschirmt, erklärte Gerwin Stöcken. Auch Trump nutze diese Methode, um klarzustellen, dass nur er die Wahrheit sage. Deshalb beschuldige er alle anderen Aussagen als Fake-News. Damals haben die Menschen in Kneipen ihrer Wut Luft gemacht, heute verwenden sie das Internet, berichtete Wolfgang Thierse. Die Podiumsteilnehmer*innen waren sich einig, dass das Internet zwar eine Plattform bietet, auf der viele Unwahrheiten verbreitet werden - damit jedoch auch eine riesengroße Chance zur Aufklärung verbunden sein könne. 

Es geht auch anders: Man muss die Ängste der Menschen ernst nehmen und mit ihnen reden

Wie Kiel die Herausforderungen des Flüchtlingszustroms meisterte, erzählte Stöcken begeistert. Er berichtete, dass sich in Kiel 2015/16 rund 12.000 Menschen organisierten, um zu helfen. „So viele Geflüchtete gab‘s gar nicht, dass alle einen abbekommen haben“, schilderte der Stadtrat.

„Der beste Weg gegen Rassismus ist der Weg der Begegnung“. Es sei wichtig und lohnenswert, sich mit den Einzelnen und mit großen Gruppen auseinanderzusetzen und die Stirn zu bieten. Oft sind es nur die eigenen Ängste, z.B. vor dem eigenen sozialen Abstieg, die die Einzelnen zum Abwenden bewegen. Um den Menschen zu begegnen, ihnen zuzuhören und sie aufzuklären, habe Kiel bereits sieben Stadtgespräche organisiert, zu denen Menschen mit ihren Ängsten und Sorgen kommen konnten. Es war wichtig, die Ängste ernst zu nehmen und auf die Menschen einzugehen. Diese Gespräche hätten allen Beteiligten gut getan. Auf diese Weise konnten Hass und eine Radikalisierung nach rechts häufig vermieden werden.

Im aktuellen Weltglücksbericht gaben die Deutschen an, dass es ihnen gut gehe. Deutschland nahm 2017 den 16. Rang der 160 untersuchten Länder ein. Und dennoch seien die Deutschen bezüglich ihrer Zukunft verunsichert. Viele meinen, Antworten auf ihre Ängste bei der populistischen Partei AfD zu finden. Die AfD ist tatsächlich eher eine Partei der Mittelschicht und weniger eine der Erwerbslosen. Ein Grund für die Fremdenfeindlichkeit kann oft eine Entheimatungs-Befürchtung sein. Menschen haben Angst davor, das ihnen Vertraute zu verlieren. Dieser Aspekt spiele wohl sogar eine größere Rolle als ökonomische Gründe, so Thierse.

Die rassistische Gewalt 2015 habe sich im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt und träfe auch Politiker*innen, führte die Politikwissenschaftlerin Schellenberg aus. Die Gruppe der Gewaltbereiten verkleinere sich zwar, radikalisiere sich jedoch. Während die rechten Themen die Medien dominierten, nähme jedoch die liberale Gruppe zu. Insgesamt werden die Deutschen weltoffener, erklärte sie. Die Leute bemerkten mittlerweile, dass die Demokratie gefährdet ist. Sie engagieren sich, werden aktiv. Alle Parteien erleben aktuell Zuwächse. Davon profitiert auch die SPD mit über 15.000 neuen Mitgliedern.

Was ist zu tun?

Es ist wichtig, die Ängste der Menschen ernst zu nehmen und sie nicht beiseite zu schieben oder zu bagatellisieren, damit bediene man die Ängste der Menschen, betonte Stöcken. Die Menschen sollen angehalten werden, Fakten zu checken. Viele übernehmen vereinfachte Informationen und Meinungen und hinterfragen diese nicht mehr.

Lassen Sie uns anderen Menschen und Kulturen gegenüber so unbefangen sein, wie das oben geschilderte Kind. Lassen Sie nicht zu, dass Angst und falsche Fakten Hass schüren. Achten Sie darauf, dass Sie bei der Wahl ihrer Partei nicht nur auf die Bilder bei Facebook schauen, sondern werfen Sie einen Blick in deren Parteiprogramme und hinterfragen Sie bei Ihren Erwägungen auch die Akteur*innen und deren Handlungen. Stehen Sie mit uns auf - gegen Rassismus.