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Debatte um Auswirkungen des EuGH-Urteils zur Preisbindung beim Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geht weiter

Das Thema Versandhandel bewegt viele Gemüter. Deshalb hat es auf Initiative von Vertreter*innen der Großen Koalition in diesem Jahr bereits zwei „Runde Tische“ gegeben. Zusammen mit Vertreter*innen der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), der Bundesapothekerkammer, des Deutschen Apotheker Verband e.V. (DAV), dem Bundesverband Deutscher Versandapotheken (BVDVA) und der European Association of Mail Service Pharmacies wurde nach Lösungsmöglichkeiten gesucht. Obwohl die bisherigen Gespräche erfolglos verliefen, sind weitere Treffen mit diesen und weiteren Verbänden anberaumt. Wir Sozialdemokrat*innen arbeiten daran, noch in dieser Legislaturperiode zu einem für alle Seiten tragfähigen Kompromiss zu kommen. Eine Bereitschaft der Apotheker*innen zu einem Kompromiss wäre dabei sehr hilfreich.

Worum geht es?

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 19. Oktober 2016 ist es europäischen Versandapotheken, wie z.B. Doc Morris oder der Europa Apotheek Venlo, erlaubt, Preisnachlässe auf verschreibungspflichtige Arzneimittel zu gewähren. Deutsche Apotheken - auch die in Deutschland ansässigen Versandapotheken - dürfen jedoch weiterhin keine Rabatte oder Boni gewähren. Vor diesem Hintergrund befürchten viele Apotheker*innen finanzielle Einbußen bis hin zur Existenz-bedrohung, weil die Boni der europäischen Versandapotheken vor allem für chronisch Kranke, die für die Apotheken die wichtigsten Kund*innen darstellen, attraktiv sind. Sie befürchten eine Abwanderung ihrer Kundschaft.

Fakt ist, dass der Anteil des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln am Apothekenumsatz in den zurückliegenden 13 Jahren verschwindend gering war. Außerdem haben wir mit dem vom Bundestag beschlossenen Gesetz zur Stärkung der Arzneimittelversorgung in der GKV (Drs. 18/10208) die Apotheker*innenhonorare für Zubereitungen und Betäubungsmittel um weitere 110 Mio. Euro pro Jahr erhöhen.

Versorgungssituationen sicherstellen

Wir Sozialdemokrat*innen haben aber auch die Situation der chronisch Kranken, der Älteren und der multimorbiden Patient*innen im Blick. Insbesondere Menschen, die auf dem Land leben, wo es weite Wege zur nächsten Ärzt*in und zur nächsten Apotheke gibt, wollen auf die Möglichkeit des Versandhandels nicht mehr verzichten. In Zukunft werden schwierige Versorgungssituationen in strukturschwachen Regionen eher zunehmen. Und gerade Patient*innengruppen mit seltenen Erkrankungen nutzen den Versandhandel, da sich bundesweit nur wenige Apotheken mit den entsprechenden Sterillaboren auf deren besondere Versorgungsbedarfe spezialisiert haben.

Gesetzgeberische Schritte und politische Akteur*innen

Gesundheitsminister Gröhe hat sehr schnell ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln angekündigt und am 12. Dezember 2017 den Referentenentwurf für ein Gesetz zum Verbot des Versandhandels an das Bundeskanzleramt zur Frühkoordinierung mit den beteiligten Ressorts verschickt. Gleichzeitig bat er die Koalitionsfraktionen sich eine Meinung zu dem Gesetzentwurf zu bilden.

Von Anfang an bestanden erhebliche verfassungsrechtliche und europarechtliche Bedenken gegen das von Minister Gröhe geplante Verbot. Ein seit 2004 bestehendes Recht einzuschränken, stellt einen weitgehenden Eingriff in die vom Grundgesetz geschützte Berufsausübungsfreiheit dar. Die Bedenken der beteiligten Bundesministerien gingen so weit, dass der Entwurf von Minister Gröhe gar nicht erst auf die Tagesordnung der Kabinettsberatungen gelangte.

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie lehnt den Vorschlag ab, „da der Gesetzentwurf erhebliche verfassungsrechtliche und europarechtliche Schwächen aufweist“. Außerdem ist eine Bedrohung der bestehenden flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln durch die Entscheidung des EuGH aus Sicht des Wirtschaftsministeriums nicht erkennbar. Daher bestehe auch kein akuter Handlungsdruck. Ein Versandhandelsverbot gefährde aber die wirtschaftliche Existenz der in Deutschland zugelassenen Versandapotheken und stehe im Widerspruch zur Förderung der Digitalisierung des Gesundheitswesens durch die Bundesregierung in den vergangenen Jahren.

Aber auch das Bundesministerium für Finanzen hat grundsätzliche Vorbehalte gegen das Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Der Finanzminister sieht ein mögliches „fiskalisches Risiko“, das durch „EU-rechtliche Staatshaftung“ für entgangene Gewinne EU-ausländischer Versandapotheken entstehen könne. Eine Zustimmung des Finanzministeriums zum Referentenentwurf könne nur dann erfolgen, wenn das Wirtschaftsministerium bestätige, dass das im Gesetzentwurf ausgeführte Versandhandelsverbot mit EU-Recht vereinbar sei, in keinem Fall ein Staatshaftungsrecht begründe und keine fiskalischen Risiken für den Bundeshaushalt entstehen.

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zum Versandhandelsverbot wegen dieser erheblichen Bedenken auch aus unionsgeführten Ministerien nicht beschlossen. Das heißt auch: Dieses Gesetz wird in dieser Legislaturperiode nicht mehr abschließend beraten. Ein Versandhandelsverbot muss der EU-Kommission zur Notifizierung vorgelegt werden. Dadurch verlängert sich das Verfahren der Gesetzgebung. Selbst wenn das Bundeskabinett doch noch einen Beschluss fassen würde, könnte das Gesetz nicht mehr abschließend im Bundestag beraten werden. Es würde zum Ende der Legislaturperiode der Diskontinuität unterfallen.

Vorsorgende sozialdemokratische Politik

Damit ist nun das eingetreten, wovor die SPD schon länger gewarnt hat. Die Apotheker*innen werden ohne eine gesetzliche Regelung zu den unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen im Regen stehen gelassen. Die Versuchung mag sehr groß sein, dieses Thema in den Wahlkämpfen der anstehenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl zu instrumentalisieren. Es darf jedoch nicht dazu kommen, dass die berechtigten Interessen der Apotheker*innen, der vielen Beschäftigten in den Apotheken und der Patient*innen den wahltaktischen Winkelzügen der Union zum Opfer fallen. Das Thema eignet sich auch schon deshalb nicht für die anstehenden Wahlkämpfe, weil die Bedenken gegen das von Minister Gröhe geplante Verbot ja auch aus dem unionsgeführten Finanzministerium kommen.

Die SPD-Bundestagfraktion will die Versorgung durch inhaber*innengeführte Apotheken vor Ort stärken. Ein Apothekensterben werden wir nicht zulassen. Dafür gibt es jedoch auch keinerlei Anzeichen.

Wir Sozialdemokrat*innen wollen die Apotheken bei den wichtigen Aufgaben, die sie z.B. bei der Beratung vor Ort, aber auch im Notdienst haben, unterstützen. Gesetzliche Regelungen, die nicht notifizierungspflichtig sind, könnten noch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden. Denkbar ist z.B. ein Verbot oder die Einschränkung von Bonuszahlungen, um einen nicht gewollten Preiswettbewerb, den insbesondere umsatzschwächere Landapotheken nicht überstehen könnten, zu verhindern. Diskutiert werden aber auch noch andere Möglichkeiten. Wir wollen Politik im Interesse aller gestalten.