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Denkwürdige Lesung am Antikriegstag in Friedenau

Erinnerungskultur heißt für mich „Nie wieder Krieg“, „Nie wieder Nationalsozialismus und Antisemitismus“. Erinnerungskultur bedeutet für mich die Übernahme von Verantwortung dafür, dass so etwas nie wieder passiert. Erinnerungskultur bedeutet für mich in meiner heutigen Zeit „Wehret den Anfängen"! Wir tragen Verantwortung für das Heutige: Es ekelt mich an, wenn der AfD-Funktionär Alexander Gauland die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz, in Anatolien "entsorgen" lassen will und für die verbale Attacke von vielen Anhänger*innen auch noch gehuldigt wird. Wir müssen Gauland und Konsort*innen entschieden entgegentreten, die Menschen wieder entsorgen wollen!

Auch deshalb war es mir ein besonderes Anliegen, am Antikriegstag eine gemeinsame Veranstaltung und Lesung mit Christa Moog, Inhaberin des Literaturhotel Friedenau und den Journalisten Hans-Peter Föhrding und Dr. Heinz Verfürth zu ihrem Anfang des Jahres erschienenem Buch „Als die Juden nach Deutschland flohen. Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte“ durchzuführen. Die Lesung fand mitten im Zentrum des literarischen Friedenaus, im Hotel Friedenau – Das Literaturhotel Berlin statt. Die Autoren arbeiten für Zeitungen und Rundfunk über politische und soziale Themen, sie leben in Berlin-Schöneberg.

Schon lange vor Beginn war im Uwe-Johnson-Salon, dem Biedermeier-Frühstücksraum des Hotels, kein Platz mehr zu finden. Mehr als 100 Gäste waren der Einladung gefolgt. Uwe Johnson war des Öfteren Gast im Hotel gewesen, erzählte Christa Moog in ihrer Begrüßung. Und sie betonte, dass Uwe Johnson stolz gewesen wäre, wenn er sehen würde, dass so viele Menschen zu diesem wichtigen Thema gekommen sind. Gleich im ersten Satz ihrer warmherzigen Begrüßung erinnerte Christa Moog an den 1. September 1939, den Beginn des 2. Weltkriegs. An den Überfall auf Polen erinnert der Antikriegstag noch heute.

Nie wieder und Wehret den Anfängen

Die Gestaltung unserer Zukunft ist immer auch an die Vergangenheit geknüpft. Die bewusste Erinnerung daran hilft uns, die Zukunft besser zu gestalten. Deswegen hat eine aktive Erinnerungskultur eine so hohe Bedeutung für mich. Deswegen führe ich jedes Jahr anlässlich des Shoa-Gedenktages eine Veranstaltung „Erinnerung braucht einen Ort“ durch. Bisher wurden schon sehr unterschiedlicher Opfergruppen des Nationalsozialismus gedacht, Jüd*innen im Bayrischen Viertel, KZ-Häftlinge am Columbiadamm, Zwangsarbeiter*innen in Lichtenrade. Erinnerungskultur heißt für mich Verantwortung dafür zu übernehmen, dass so etwas nie wieder passiert und "Wehret den Anfängen"!

„Als die Juden nach Deutschland flohen. Ein vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte“

Die Autoren begannen ihre Lesung mit einem Bericht der Protagonistin des Buches, Lea Waks, deren Leben als 11jähriges jüdisches Kind vom 1. September 1939 an zerbrach und die sich in ihrer Heimatstadt Lodz plötzlich und von der Familie grausam getrennt im Ghetto wiederfand.

Der weitere Schicksalsweg von Lea Waks ist beispielhaft für ca. 300 000 Jüd*innen, die als Überlebende der Shoa nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland flohen und in DP-Lagern (für Displaced Persons, also Entwurzelte, Staatenlose) lebten. Vor allem antisemitische Exzesse in Polen nach 1945 hatten diese Fluchtbewegung ausgelöst. Die Flüchtlinge suchten im Land der Täter den Schutz der Alliierten. Ihr Ziel war Palästina. Von den mehr als hundert DP-Lagern im Nachkriegsdeutschland unterhielt die amerikanische Militärregierung die größten. In Berlin gab es drei DP-Lager, in Mariendorf, Reinickendorf und Zehlendorf.

Fakten- und kenntnisreich und basierend auf zahlreichen Interviews mit Zeitzeug*innen berichteten die Autoren von der erneuten Ausgrenzung, die die Jüd*innen - schon wieder in Lagern hinter Zäunen gelandet - erleben mussten.

Die Überlebenden entwickelten ihre Lager zu starken, lebendigen Gemeinschaften mit Synagogen, Schulen, Kindergärten, Sportstätten und Zeitungen. Innerhalb der bewachten Zäune lebte das alte Schtetl Leben wieder auf, argwöhnisch beäugt durch die deutschen Nachbar*innen. Die Versorgung der Lagerbewohner*innen übernahmen die Amerikaner.

Sehr deutlich stellten die Autoren in ihrem Buch heraus, dass die durch verdrängte Schuld und Neid getriebenen Deutschen keinerlei Empathie für die Überlebenden der Shoa hatten. Völlig eingenommen durch ihr eigenes Schicksal kamen bei ihnen die im Nationalsozialismus eingeimpften Muster wieder zum Vorschein: der Hass auf das Fremde.

Am Schluss der Lesung entspann sich auf Grund dieses vergessenen Kapitels der deutschen Nachkriegsgeschichte eine lebhafte Diskussion mit dem Publikum. Ich bin den beiden Autoren sehr dankbar, dass es ihnen gelungen ist, die Aktualität der Themen Flucht, Vertreibung und Ausgrenzung herzustellen. In meinem Schlusswort appellierte ich, dass wir alle dafür Sorge und Verantwortung tragen müssen, dass sich so etwas nie wiederholen darf.

Ich möchte Christa Moog und den beiden Autoren Hans-Peter Föhrding und Dr. Heinz Verfürth für diesen spannenden Abend sehr danken.

Und noch einmal deutlich „Nie wieder“!