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20. Jahrestag der Abschaffung des § 175 StGB

Am 11. Juni 1994 wurde der § 175 StGB endgültig aus dem bundesdeutschen Strafrecht gestrichen. Heute steht an der Stelle im Strafgesetzbuch, wo 123 Jahre die Kriminalisierung und gesellschaftliche Ächtung Homosexueller festgeschrieben war, „§ 175 (weggefallen)“. Seit der Einführung des Paragrafen 1872 in der Kaiserzeit sind mehr als 140.000 Männer nach den verschiedenen Fassungen des § 175 in den deutschen Staaten verurteilt worden. Und auch heute ist das Kapitel 175 noch nicht ganz abgeschlossen: Gekämpft wird um eine Aufhebung der nach § 175 ergangenen Urteile. Ich unterstütze den Kampf um Rehabilitierung und um individuelle oder kollektive Entschädigung und begrüße außerordentlich, dass Heiko Maas (SPD), Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz, die Überprüfung der Gerichtsurteile vornimmt.

Die am 11. Juni 1994 in Kraft getretene Reform zur Streichung des § 175 und zur Einführung einer einheitlichen Jugendschutznorm in § 182 StGB war zuvor vom Deutschen Bundestag am 10. März 1994 beschlossen worden. Für die SPD-Bundestagsfraktion stellte Dr. Jürgen Meyer in der entsprechenden Plenardebatte fest: „Die von uns seit langem geforderte Streichung des § 175 beendet die immer wieder und mit Recht kritisierte Diskriminierung homosexueller Männer. Es ist nicht nur ein Grundsatz des liberalen Rechtsstaates, daß gewaltfreie und einverständliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen den Staat nichts angehen; vielmehr ist der § 175 auch und nicht zuletzt durch die Verbrechen der Nazis ein Symbol der Unmenschlichkeit geworden. Ich erinnere an die Massenverschleppung Homosexueller und ihre Ermordung in den Konzentrationslagern.“.

Kampf um den § 175 - Kampf um „100% Prozent Gleichstellung“
Gesellschaftlich ist der Kampf um den § 175 aber noch nicht ganz zu Ende. Dessen Aufarbeitung ist immer noch aktuell. In der politischen, juristischen und gesellschaftlichen Debatte geht es um Rehabilitation, geht es um individuelle und kollektive Entschädigung.

Am 7. Dezember 2000 hat der Bundestag durch eine von Bündnis90/Die Grünen und SPD initiierten, letztlich dann einstimmig verabschiedeten Entschließung anerkannt, dass die Verschärfung des § 175 um Jahr 1935 „Ausdruck typisch nationalsozialistischen Gedankenguts“ war. Damit hatte sich der Bundestag dazu bekannt, „dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafandrohung homosexuelle Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.“  Unter Rot-Grün wurde das „Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege“ im Jahr 2002 ergänzt. Die zwischen 1933 und dem 7. Mai 1945 ergangenen Urteile nach §§ 175 und 175a Nr. 4 wurden pauschal aufgehoben.

Eine entsprechende Aufhebung der Urteile und der damit verbundenen individuellen und kollektiven Entschädigung für die Strafverfolgung nach 1945 steht noch aus. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) überprüft derzeitig Möglichkeiten der Aufhebung rechtskräftiger Urteile. Dieses ist verfassungsrechtlich nicht so einfach – auch wenn es für uns, die sich für das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit einsetzen, zunächst einmal schwer nachvollziehbar ist. Noch im Juni 2013 scheiterte im Rechtsausschuss des Bundestages ein entsprechender Antrag.

Würdigung durch die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
Im Mittelpunkt der Forschungs- und Bildungstätigkeit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld steht nicht die politische Entschädigungsfrage und die Wiedergutmachung, sondern die Bewahrung der Lebensgeschichten der Menschen, die unmittelbar und mittelbar vor allem in den 1950er und 1960er Jahren unter dem § 175 gelitten haben. Viele ZeitzeugInnen, die in der frühen Bundesrepublik auf Grundlage des § 175 verurteilt wurden, sind bereits verstorben, andere möchten sich mit dem ihnen zugefügten Unrecht nicht mehr befassen.

Ich begrüße es daher sehr, dass die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld sich zusammen mit dem Berliner Senat bemüht ist, dennoch ZeitzeugInnen zu finden und ihre Lebensgeschichte zu dokumentieren. Im Video-Zeitzeugenprojekt “Archiv der anderen Erinnerungen” soll dieser Teil unserer Geschichte für zukünftige Generationen aufbereitet werden.

Spenden für das „Archiv der anderen Erinnerungen“

Um viele Interviews im Rahmen des Projektes „Archiv der anderen Erinnerungen“ durchführen zu können, ist die Bundesstiftung auf Spenden
angewiesen.