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Volkstrauertag: „Mit so einem Deutschland trauere ich gern zusammen“

Am Volkstrauertag wird in Deutschland alljährlich aller Toten beider Weltkriege und der Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Hinzukommen die Opfer der heutigen Kriege und Bürgerkriege, die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung. Die zentrale Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag am 16. November 2014 veranstaltete der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Die Gedenkrede hielt Avi Primor, israelischer Publizist und Botschafter a. D., das Totengedenken sprach Bundespräsident Joachim Gauck.

Für ein gemeinsames Gedenken: Versöhnung braucht Wahrheit

Markus Meckel, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, vorletzter Außenminister der DDR  und späterer SPD-Bundestagsabgeordneter, erinnerte in seiner Begrüßung daran, dass wir in einer „zusammenwachsenden Welt“ immer mehr auch auf Erklärungen des anderen Landes angewiesen sind. Die vielen nationalen und internationalen Delegationen und RepräsentantInnen begrüßend, weist er darauf hin, dass an diesem Tag aller Toten gedacht wird.

Meckel nimmt Bezug auf die erste internationale Gedenkstätte des Ersten Weltkrieges, dem einzigartigen „Ring der Erinnerung“ nahe des französischen Soldatenfriedhofs von Notre-Dame-de-Lorette bei Arras, Frankreich. Beim „Ring der Erinnerung“ handelt es sich um eine Ellipse aus Beton mit 330 Metern Umfang, die keinen Unterschied zwischen Siegern und Verlierern, zwischen Freund und Feind macht. An „der vergessenen Front“ in Flandern und im Artois wird der hier mehr als 580000 gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges erinnert,  davon 173.876 deutsche Soldaten, 106.012 aus Frankreich und dem Kolonialreich in Nord- und Schwarzafrika, 241.214 Soldaten des Commonwealth darunter viele aus Kanada, Südafrika, Indien, Australien und Neuseeland. Sie alle werden namentlich genannt - in alphabetischer Reihenfolge, ohne Hinweis auf Nationalität, Dienstgrad oder Religion. Deutlich wird: Im Tod sind alle gleich.

Markus Meckel weist darauf hin, dass die „Erlebnisgeneration“ stirbt. Somit muss sich auch das öffentliche Gedenken ändern. Heute wäre es möglich, über nationale Grenzen hinweg gemeinsam zu trauern.

„Mit so einem Deutschland trauere ich gern zusammen.“

Die Gedenkrede in der zentralen Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag hielt der 79-jährige israelische Diplomat und Publizist Avi Primor. Avi Primor, Träger des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland, stammt aus Tel Aviv. Seine aus Frankfurt am Main stammende Mutter wanderte 1932 nach Palästina aus. Sie überlebte als einziges Familienmitglied den Holocaust. Von 1993 bis 1999 war er Botschafter Israels in Deutschland.

Zu Beginn seiner Rede gab er zu, dass er sich anfangs sehr gewundert habe, dass er für diese Rede angefragt worden sei. Dann habe er angefangen nachzudenken. Er erinnerte an die mehr als 110.000 deutschen Juden, die als begeisterte Patrioten am Ersten Weltkrieg teilnahmen, viele fielen bzw. kehrten als Kriegsversehrte nach Hause. Den unter anderem auch in den mit einem Geleitwort von Franz Joseph Strauß versehenen „Kriegsbriefe gefallener deutscher Juden“ deutlich werdenden Patriotismus verstehe heute keiner mehr.

Avi Primor beschrieb die Haltung der jüdischen Israelis nach dem 2. Weltkrieg, als in Israel von einer Kollektivschuld Deutschlands ausgegangen wird. Er erinnerte an eine Begegnung zwischen Golda Meir, Außenministerin und Ministerpräsidentin Israels, Anfang der 50er Jahre bei einem Treffen der Sozialistischen Internationale. Sie verweigerte dem SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher die Hand, wohlwissend, dass Kurt Schumacher selbst von den Nazis verfolgt, in ein Konzentrationslager verschleppt war und dort seinen Arm verloren hatte. Für Golda Meir war Schumacher jedoch ein Deutscher und mit Deutschen wollte sie keine Kontakte haben. Sie behauptete, es gebe keine Ausnahmen. Entsprechend energisch wandte sie sich gegen die Entwicklung einer deutsch-israelischen Beziehung. Ganz anders David Ben-Gurion, erster Premierminister Israels und einer der Gründer der sozialdemokratischen Arbeitspartei Israels, der schon früh auf ein „neues Deutschland", hinwies und für die Verständigung zwischen Juden und Deutschen, zwischen Israel und die Bundesrepublik Deutschland eintrat. Seit dieser Zeit habe sich viel geändert.

Was bedeutet Trauer? - Was bedeutet Erinnerung?

Auch Avi Primor stellt die Frage „Kann man um ehemalige Feinde gemeinsam trauern?“.  Der frühere Botschafter Israels in Deutschland verwies darauf, dass in anderen Ländern mit Denkmälern und Gedenkstätten an große Siege erinnert werde und Helden gewürdigt würden, die dem Vaterland Ruhm brächten: "Aber wo haben Sie jemals weltweit eine Nation gesehen, die Denkmäler baut, um sich an die eigene Schande, an das eigene Verbrechen zu erinnern?" Das hätten bis heute nur die Deutschen getan. Er erinnerte auch an Willy Brandt „Friede ist nicht alles, aber ohne Friede ist alles nichts“. Deutschland sei mit der Zeit in Sachen Erinnerung und Gewissensforschung weltweit vorbildlich geworden "Mit so einem Deutschland trauere ich gern zusammen." Er lobte Deutschland für die Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte und merkte an, dass wir gemeinsam „Verantwortung für die Zukunft tragen“.

„Unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen“

Beim Totengedenken gedachte Bundespräsident Joachim Gauck der Opfer von Gewalt und Krieg. "Unsere Verantwortung gilt dem Frieden unter den Menschen - zu Hause und in der ganzen Welt." Joachim Gauck erinnerte an die Opfer der heutigen Kriege und Bürgerkriege, von Terrorismus und politischer Verfolgung. Gedacht werde auch derjenigen, die in Deutschland Opfer von Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwache geworden seien. Heute werde auch um die Bundeswehrsoldaten und anderen Einsatzkräfte, die im Ausland ihr Leben verloren hätten, getrauert.

Zu diesem Anlass wurde bereits am Samstag eine neue Gedenkstätte auf dem Gelände des Einsatzführungskommandos in Geltow nahe Potsdam eingeweiht. Diese erinnert an die im Dienst getöteten Soldaten und zivilen Mitarbeiter. Die Initiative hierzu ging vor allem von Angehörigen der getöteten Soldaten aus. Die Gedenkstätte trägt den Namen „Wald der Erinnerung“. Die Ehrenhaine aus fünf früheren Einsatzgebieten der Bundeswehr wie Afghanistan und Bosnien wurden dort zusammengeführt. Seit der Gründung der Bundeswehr 1955 kamen nach Angaben des Verteidigungsministeriums rund 3200 militärische und zivile Angehörige im Dienst ums Leben.

Mitwirkende an der Gedenkstunde waren auch der Oberstufenchor der Liebigschule Gießen und das Bläserensemble des Musikkorps der Bundeswehr. Sehr berührend war das „Gespräch“ der Schriftstellerin Kathelijn Vervarcke mit Peter Kollwitz, Sohn als auch Enkel von Käthe Kollwitz, dargestellt von Phillipp Kocks. Ihrem Sohn und ihrem Enkel zu Ehren schuf Käthe Kollwitz die Figurengruppe „Trauerndes Elternpaar“.

Der Volkstrauertag wurde in der Bundesrepublik 1952 auf Anregung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge wieder eingeführt. Seine zentrale Gedenkfeier begeht der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge seit einigen Jahren im Plenarsaal des Bundestages in Berlin. Der Volksbund versteht diesen Gedenktag mit zunehmendem Abstand vom Krieg als einen Tag der Trauer. Der Volkstrauertag ist aber auch zu einem Tag der Mahnung zu Versöhnung, Verständigung und Frieden geworden. Der Volksbund betreut heute im Auftrag der Bundesregierung die Gräber von etwa 2,5 Millionen Kriegstoten auf 832 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten. Er wird dabei unterstützt von mehr als einer Million Mitgliedern und FördererInnen sowie der Bundesregierung. Das Leitwort ist: Versöhnung über den Gräbern - Arbeit für den Frieden.